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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 304: AGG XI – Durchführung des Arbeitsverhältnisses (1)

Frage:

    Muß ich es als Frau mir gefallen lassen, daß stets ich im Büro den Kaffee kochen muß? Ist es richtig, daß Teilzeitkräfte wegen der Teilzeit kein Weihnachtsgeld, keine Betriebsrente und kein Fahrgeld bekommen? Dürfen islamische Mitarbeiter während der Arbeitszeit ihre 5 Tagesgebete verrichten?

Der Fall:

    Im Betrieb von Adalbert Stifter herrscht noch „die gute alte Zeit“. Für verheiratete Mitarbeiter gibt es Zulagen, für Lebensgemeinschaften nicht. Das Kaffekochen wird noch von den weiblichen Mitarbeitern durchgeführt. Als K.u.K.-Österreicher hat er die Türkenkriege nicht vergessen. Deswegen dürfen seine türkischen Mitarbeiter den Hof kehren. Als Abteilungsleiter werden nur muttersprachliche Mitarbeiter befördert.
    Die Arbeitgeberin Anna Amalie aus Weimar kämpft gegen die Frauenunterdrückung. Deshalb werden in ihrem Betrieb zum Säubern der Maschinen und zu Reinigungsarbeiten nur Männer eingesetzt. Sie ist sehr aufgeschlossen. Als jedoch mohammedanische Mitarbeiter ihre Korangebete während der Arbeitszeit in ihrer Bibliothek verrichten wollten und türkische Mitarbeiterinnen mit dem Kopftuch die Kunden bedienten, hörte bei ihr die Toleranz auf. Das wollte sie nicht mitmachen. Liegen hier verbotene Diskriminierungen nach dem AGG vor?

Die Lösung:

1. Arbeitseinsatz

    Der Arbeitseinsatz und die Ausübung des Direktionsrechtes muß vom Arbeitgeber und den Vorgesetzten diskriminierungsfrei erfolgen. Aus diesem Grunde müssen in vielen Betrieben traditionelle Verhaltensweise bzw. „liebgewordene“ Vorgänge kritisch überprüft werden.
    Es ist z.B. diskriminierend, wenn nur weibliche Mitarbeiter Kaffee kochen, zu Konferenzen die Tafel richten oder nur ausländische Mitarbeiter niedrige Tätigkeiten verrichten, wie z.B. Hofkehren oder ähnliches.
    Auch eine umgekehrte Diskriminierung i.S.v. Anna Amalie ist rechtlich problematisch.

2. Vergütung

    In Vergütungsfragen fanden in der Vergangenheit zahlreiche Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechtes statt. Aus diesem Grunde müssen Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge, aber auch Arbeitsverträge auf solche Diskriminierungsinhalte überprüft werden. Dies gilt vor allem für Zusatzzahlungen, wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Fahrkostenersatz, Kurzulage etc.
    Nach dem Grundsatz „gleiche Arbeit für gleichen Lohn“ ist es rechtlich nicht haltbar, wenn Frauen für gleiche Arbeit weniger bekommen als Männer, wenn ausländische Mitarbeiter für gleiche Arbeit oder gar für qualifiziertere Arbeit weniger verdienen als deutsche Arbeitnehmer.
    Im Bereich der Vergütung stellt sich insbesondere das Problem der „mittelbaren Diskriminierung“. In den allermeisten Fällen findet eine unmittelbare Diskriminierung mittlerweile nicht mehr statt. Gleichwohl sind in der Vergangenheit immer wieder Arbeitnehmergruppen gebildet worden, die als Gruppe schlechtere Vertragskonditionen oder Vergütungen bekamen, als die anderen Mitarbeiter. Dies betraf vor allem Teilzeitmitarbeiter.
    Achtung: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts ist zu prüfen, ob innerhalb einer benachteiligten Gruppe ein Geschlecht oder eine Nationalität überwiegt. Sollte das der Fall sein, liegt eine mittelbare, verbotene Diskriminierung vor, sofern für die Schlechterstellung kein hinreichender sachlicher Grund gegeben ist.
    Es ist deshalb unzulässig, wenn Teilzeitmitarbeiter von Zusatzleistungen wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Betriebsrente, Feiertagsvergütung etc. ausgeschlossen werden.
    Ebenso unzulässig ist es, wenn z.B. eine bestimmte Arbeitergruppe mit überwiegenden Ausländeranteil von solchen Zusatzleistungen ausgenommen wird.

3. Gleichbehandlungsgrundsatz

    Nach dem AGG und der ständigen Rechtsprechung ist eine Schlechterstellung von Arbeitnehmergruppen diskriminierend. Sie stellt außerdem einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn für die Schlechterstellung eine ausreichende sachliche Veranlassung vorliegt. Dies muß vom Arbeitgeber dann substantiiert dargelegt und nachgewiesen werden.
    Die Zahlung einer Verheiratetenzulage stellt nach dem AGG eine Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung dar. Die Verheiratetenzulage/Familienzuschlag muß nach neuer Rechtslage auch an gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften aus Gründen der Gleichbehandlung gezahlt werden. Dies gilt allerdings nicht für allgemeine Lebensgemeinschaften ohne staatliche Anerkennung.

4. Beförderung

    Auch bei Beförderungen, Höhergruppierungen und sonstigen hierarchischen Verbesserungen muß der Arbeitgeber neben dem Gleichbehandlungsgrundsatz auch die Benachteiligungsverbote des AGG beachten. Dies bedeutet, daß generell eine Beförderung von „nur“ Muttersprachlern, d.h. von deutschstämmigen Mitarbeitern, einen Diskriminierungstatbestand darstellt. Ebenso dürfen Frauen bei Beförderungen wegen des Geschlechtes nicht benachteiligt werden. Die deutsche Wirtschaft hat insoweit einen großen Nachholbedarf.
     

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug