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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 305: AGG XI – Durchführung des Arbeitsverhältnisses (2)

Frage:

    Muß ich es als Frau mir gefallen lassen, daß stets ich im Büro den Kaffee kochen muß? Ist es richtig, daß Teilzeitkräfte wegen der Teilzeit kein Weihnachtsgeld, keine Betriebsrente und kein Fahrgeld bekommen? Dürfen islamische Mitarbeiter während der Arbeitszeit ihre 5 Tagesgebete verrichten?

Der Fall:

    Im Betrieb von Adalbert Stifter herrscht noch „die gute alte Zeit“. Für verheiratete Mitarbeiter gibt es Zulagen, für Lebensgemeinschaften nicht. Das Kaffekochen wird noch von den weiblichen Mitarbeitern durchgeführt. Als K.u.K.-Österreicher hat er die Türkenkriege nicht vergessen. Deswegen dürfen seine türkischen Mitarbeiter den Hof kehren. Als Abteilungsleiter werden nur muttersprachliche Mitarbeiter befördert.
    Die Arbeitgeberin Anna Amalie aus Weimar kämpft gegen die Frauenunterdrückung. Deshalb werden in ihrem Betrieb zum Säubern der Maschinen und zu Reinigungsarbeiten nur Männer eingesetzt. Sie ist sehr aufgeschlossen. Als jedoch mohammedanische Mitarbeiter ihre Korangebete während der Arbeitszeit in ihrer Bibliothek verrichten wollten und türkische Mitarbeiterinnen mit dem Kopftuch die Kunden bedienten, hörte bei ihr die Toleranz auf. Das wollte sie nicht mitmachen. Liegen hier verbotene Diskriminierungen nach dem AGG vor?

Die Lösung:

5. Versetzung

    Versetzungen innerhalb des Betriebes oder des Unternehmens können per Direktionsrecht durchgeführt werden, soweit dies der Arbeitsvertrag zuläßt. Andernfalls muß eine Änderungskündigung ausgesprochen werden. In jedem Falle müssen bei Versetzungen (nicht bei Umsetzungen) die Betriebsräte vorher angehört werden und zustimmen.
    Sowohl Arbeitgeber wie Betriebsräte müssen darauf achten, daß Versetzungen nicht diskriminierend sind. Hier ist vor allem darauf zu achten, daß bei Versetzungen niemand benachteiligt wird wegen seines Geschlechtes, wegen seiner ethnischen Herkunft oder seines Glaubens.
    Versetzungen dürfen insbesondere nicht schikanös sein. Entbehrt die Versetzung einer sachlichen Grundlage, liegt ein Indiz dafür vor, daß Schikane obwaltet. Dann muß der Arbeitgeber beweisen, daß er einen sachlichen Grund für die Versetzung besaß.

6. Religiöse Bräuche

    Verschiedene Religionszugehörigkeiten und religiöse Gebräuche können Konflikte in Betrieben provozieren. Hier stellt sich die Frage, inwieweit der Arbeitgeber auf religiöse Wünsche und Besonderheiten eingehen und diesen Vorrang einräumen muß. Im Einzelfall ist dies stark umstritten.
    Merke: Nach der bisherigen Rechtsprechung ist der Arbeitgeber nur verpflichtet, auf religiöse Belange und Gebräuche der Beschäftigten Rücksicht zu nehmen, soweit es nicht berechtigten betrieblichen Belangen entgegensteht. Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, religiöse Belange in schikanöser Form oder aus Prinzip zu unterbinden. Stören diese aber den Betriebsablauf, so muß er sie nicht dulden.
    Diese Grundsätze der Rechtsprechung sind auch unter Berücksichtigung der neuen Regeln des AGG nicht verändert worden. Das Verbot der Benachteiligung von Mitarbeitern wegen der Religion oder Weltanschauung führt nur dazu, daß Nachteile beseitigt werden, die ohne sachliche Rechtfertigung entstehen. Das AGG fordert jedoch nicht, Arbeitnehmern wegen ihrer Religion Vorteile einzuräumen!

7. Beispiele:

    – Die unterschiedlichen Feiertagsregelungen (Mohammedaner am Freitag, Juden am Samstag, Christen am Sonntag; die verschiedenen Feste wie Weihnachten, Ramadan-Ende, Jom-Kippur-Fest etc.) dürfen den Betriebsablauf nicht stören. Aus diesem Grunde kann ein Mohammedaner nicht verlangen, am Freitag frei zu bekommen und dafür am Sonntag zu arbeiten. Es gelten im übrigen in Deutschland die staatlichen Feiertagsgesetze verbindlich für alle Mitarbeiter, egal welcher Konfession.
    – Sind Mitarbeiter einer Konfession stark vertreten, so gebietet es die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, ggf. in der Kantine ein entsprechendes Essen (z.B. ohne Schweinefleisch) für diese Mitarbeiter anzubieten, wenn dies aus wirtschaftlichen und organisatorischen Gründen zumutbar ist.
    – Gebetszeiten: Generell hat kein Muslim das Anrecht, im Betrieb 5 die Arbeit zu unterbrechen, um zu beten. Sollte dies aber ohne größere Störung der Betriebsabläufe und der Arbeitskollegen bzw. des Kundenverkehrs möglich sein, so müßte der Arbeitgeber dem Mitarbeiter insoweit entgegenkommen, wenn dieser die ausgefallene Arbeitszeit nacharbeiten kann.
    – Konflikte entstehen immer wieder durch das Tragen bestimmter Kleidung, z.B. des Kopftuches oder der Bourka. Nach der Rechtsprechnung des Bundesarbeitsgerichts ist das Tragen des Kopftuches generell erlaubt, soweit nicht konkrete betriebliche Belange dem entgegenstehen. Alleine die Befürchtung, daß Kunden durch das Kopftuch sich abwenden, reicht nicht aus, um ein Kopftuchverbot einzuführen. Dagegen dürfte das Tragen der Bourka (Ganzkörperschleier) in der Regel den betrieblichen Ablauf so stören, daß der Arbeitgeber dies verbieten kann.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug