Hans-Gottlob-Ruehle.de
Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 255: Heiße Tage am Arbeitsplatz I

Der Fall

    Arbeitgeberin Annette von Droste hat wunderschöne Betriebsräume im Herbst angemietet mit großen Fenstern, Helligkeit und Südhanglage. Im Sommer aber knallt die Sonne auf das Gebäude und heizt die Räume auf 30 Grad und mehr auf.
    Arbeitnehmer Schopenhauer ist sonnen- und wärmeempfindlich. Er kann kaum noch arbeiten und verlangt hitzefrei bei voller Bezahlung.
    Arbeitnehmern Charlotte Buff ist von Johann Wolfgang im 6. Monat schwanger. Sie leidet sehr unter der Hitze und will von den großen Fenstern weg.
    Arbeitnehmer Fjodor Ivanovic war schon im Winter recht durstig. Jetzt fordert er von Arbeitgeberin Annette wegen der Hitze kostenlose Getränke aller Art.
    Dem Betriebsrat Guiseppe Verdi hat es bei den hohen Temperaturen fast die Stimme verschlagen. Er macht ein Mitbestimmungsrecht geltend und verlangt von Annette das Anbringen von Sonnenjalousien, die Einführung von Nachtarbeit, kostenlose Getränke für alle und eine bezahlte verlängerte Mittagspause mit Liegestühlen unter schattigen Bäumen.
    Arbeitgeberin Annette ist verzweifelt. Sie will die Räume wieder kündigen, wenn sie eine andere Betriebsstätte findet. Kurzfristig bietet sie den Arbeitnehmern Kurzarbeit an, allerdings bei voller Lohnkürzung.

Die Lösung

1. Fürsorgepflicht

    Die Arbeitnehmer verkaufen zwar ihre Arbeitskraft und einen Teil ihrer Lebenszeit an die Arbeitgeberin. Dies bedeutet aber nicht, daß sie am Arbeitsplatz alle Zustände hinnehmen müßten, die sich dort durch betriebliche Umstände, aber auch durch Klimaeinwirkungen bieten.
    Neben den Hauptleistungspflichten trifft den Arbeitgeber die allgemeine Fürsorgepflicht als vertragliche Nebenpflicht gegenüber den Arbeitnehmern. Er hat dafür zu sorgen, daß die Arbeitsbedingungen gesundheitszuträglich sind. Gesundheitsgefahren und gesundheitliche Schädigungen muß er mit allen ihm zur Verfügung stehenden, zumutbaren Mitteln abwenden. Er hat die Betriebsabläufe, die Produktionsmittel und Maschinen, die Gebäude, die Arbeitsräume, und die Arbeitsplätze so zu gestalten, daß ein möglichst gesundheitlich zuträgliches Arbeiten gewährleistet ist. Hierbei muß im Einzelfall allerdings abgewogen werden zwischen der technischen und sonstigen Machbarkeit einerseits und der wirtschaftlichen Zumutbarkeit andererseits.
    Studien der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin haben ergeben, daß besonders hohe Temperaturen an Arbeitsstätten einerseits zu einer erheblichen Belastung der Mitarbeiter, andererseits aber auch zu einem erhöhten Unfallrisiko führt. Bei einem Anstieg der Temperaturen über 22 Grad muß mit einem Abfall der Leistungsfähigkeit um 5 % pro zusätzlichem Grad Raumtemperatur gerechnet werden.
    Achtung: Das bedeutet auch, daß im Winter in überhitzten Räumen die Arbeitsleistung der Mitarbeiter spürbar absinken kann!
    Da die heißen Sommer (z.B. 2003) zunehmen werden, muß Arbeitgeberin Annette schon im eigenen Interesse dafür sorgen, daß in ihren Betriebsräumen zuträgliche Temperaturen herrschen, um betriebliche Verluste durch Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Unfallgefahren etc. abzuwenden.

2. Dürftige Vorschriftenlage

    Soweit es um die Ausgestaltung der Räumlichkeiten außerhalb der Sicherheitsanforderungen im engeren Sinne geht, ist die Gesetzes- und Rechtslage recht dürftig ausgestattet. Sowohl Betriebsräte wie Arbeitnehmer sind bei der Suche nach entsprechende Vorschriften zu Recht enttäuscht. Der Gesetzgeber hat insoweit kaum Regelungen getroffen. Dies gilt insbesondere auch für die Frage, welche Temperaturen am Arbeitsplatz zu herrschen haben, bzw. den Arbeitnehmern noch zumutbar sind.
    In der Arbeitsstättenverordnung alter Fassung war in § 6 wenigstens noch geregelt, daß eine „gesundheitlich zuträgliche Raumtemperatur“ am Arbeitsplatz herrschen muß. Der Gesetzgeber hat jedoch die Arbeitsstättenverordnung mit dem Gesetz vom 12. August 2004 neu gefaßt und „entrümpelt“. Dabei sind die teilweise schon recht bescheidenen Anforderungen an Arbeitsstätten noch einmal ausgedünnt worden. Die Neuregelung der Arbeitsstättenverordnung 2004 hat u.a. das Ziel verfolgt, die Betriebe von den detaillierten Regelungen der Arbeitsstättenverordnung 1975 zu entlasten und praxisorientierte Regelungen durch einen zu bildenden „Ausschuß für Arbeitsstätten“ vornehmen zu lassen.
    Die Arbeitsstättenverordnung 2004 enthält in ihrem Anhang zu § 3 keine Anforderungen mehr an Mindestmaße für Arbeitsräume (Grundfläche, Höhe und Mindestluftraum), keine Erfordernisse einer Sichtverbindung nach außen, keine Maßvorgaben an die Gestaltung von Pausen-, Bereitschafts- und Sanitärräumen sowie eine Erleichterung zur Toilettengestaltung.
    3. § 618 BGB
    Nach § 618 Abs. 1 BGB muß die Arbeitgeberin Räume, Vorrichtungen und Gerätschaften zur Arbeitsleistung so einrichten und unterhalten, daß die Arbeitnehmer gegen Gefahr für Leben und Gesundheit so weit geschützt sind, als die Natur der Dienstleistung es gestattet.
    Es handelt sich hier um eine gesetzliche Ausformung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht. Der Gesetzgeber hatte in dieser Generalklausel dem Arbeitgeber aufgegeben, Gesundheit und Leben der Mitarbeiter zu schützen. Allerdings enthält das Gesetz den einschränkenden Hinweis auf die Art sowie die Natur der Arbeitsleistung. Daraus folgt, daß der Gesetzgeber insbesondere die technische und wirtschaftliche Möglichkeit bzw. Zumutbarkeit in die Abwägung einbezieht, wieweit die Schutzverpflichtung der Arbeitgeberin geht.
    § 618 Abs. 2 BGB regelt die Verpflichtung der Arbeitgeberin zum Schadenersatz, wenn sie die ihr obliegende Verpflichtung zum Schutz von Leben und Gesundheit des Mitarbeiters schuldhaft nicht erfüllt. Neben dem arbeitsvertraglichen Schadenersatzanspruch besteht dann auch ein spezieller deliktischer Schadenersatzanspruch nach §§ 842 ff. BGB mit dem Anspruch auf Schmerzensgeld.
    Achtung: Bei Arbeitsunfällen ist die Haftung des Arbeitgebers und der Arbeitskollegen nach den §§ 104, 105 SGB VII jedoch beschränkt auf die Schadensverursachung durch Vorsatz. Bei fahrlässiger oder grob fahrlässiger Schädigung ist der Schadenersatzanspruch gegen Arbeitgeber und Arbeitskollegen ausgeschlossen. Statt dessen entsteht ein Anspruch gegen die Berufsgenossenschaft.
    § 618 BGB enthält jedoch keine konkrete Vorschrift darüber, wie hoch die Raumtemperaturen im Betrieb sein dürfen oder sein müssen. Es ist insbesondere nicht geregelt, ab welcher Temperatur Arbeitnehmer eventuell vom Arbeitgeber zusätzliche Leistungen, wie Getränke, fordern oder gar ihre Arbeit einstellen dürfen.

>> Nächste Folge
<< Zurück zur Übersicht

 

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
 

Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

STARTSEITE >>

Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug