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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 254: Ethik-Regeln XIV – Mitbestimmung / Datenschutz / Deutsche Sprache

Der Fall

    Der globale Unternehmer Conny Rockefeller führt in seiner United Oil Company und in allen ausländischen Tochtergesellschaften Ethik-Richtlinien ein. Zur Meldung von Ethik-Verstößen regelt er folgendes:
    „I. Sie werden aufgefordert, ethische Bedenken unverzüglich vorzubringen. Ihre Bedenken können Sie dem Vertrauens-Vorgesetzten vorbringen oder dem nationalen Ethik-Büro oder durch eine vertraulich arbeitende anonyme Hotline. Wenn Ihre ethischen Bedenken trotz Meldung nicht gelöst werden, sollten Sie diese an anderer Stelle erneut vorbringen.
    II. Eine der wichtigsten Aufgaben aller Mitarbeiter ist die Verpflichtung, die Beobachtung einer möglichen Verletzung der Ethik-Richtlinie oder der Gesetze zu melden. Sollten Sie eine Meldung unterlassen, so können Sie dem Unternehmen oder den Mitarbeitern schaden. Deshalb ist jeder Mitarbeiter verpflichtet, jede bekannte oder vermutete Verletzung der Gesetze, gültiger Bestimmungen oder dieser Ethik-Regeln unverzüglich mitzuteilen.
    III. Sie können die Meldung wie folgt vorbringen:
    – Nutzen Sie die Politik der Offenen Tür bei Ihrem Vorgesetzten. Dies ist der direkteste Weg, außer wenn Sie meinen, Ihr Vorgesetzter ist bei dem Fehlverhalten beteiligt. Wenden Sie sich dann an die nächsthöhere Stelle,
    – oder kontaktieren Sie das Ethik-Büro,
    – oder benutzen Sie die Ethik-Hotline. Jede Niederlassung hat ein Telefon, mit dem Sie auf vertraulicher und anonymer Basis Ihr Anliegen in der Zentrale in New York vorbringen können.
    IV. Jeder Angestellte, der in gutem Glauben über eine Mißachtung berichtet, braucht für diesen Bereich keine negativen Konsequenzen zu fürchten.“
    Der verarmte Jakob Fugger stellt in der Niederlassung Augsburg fest, daß ständig giftige Brühe in den Lech eingeleitet wird. Da er niemandem traut, meldet er die Einleitungen unmittelbar der Umweltpolizei. Als Betriebsleiter Franz-Josef davon erfährt, spricht er sofort die fristlose Kündigung aus.
    Niederlassungsleiter Hermann von Salza teilt der Hotline in die USA mit, daß der Personalchef Konrad von Marburg die Angestellte Elisabeth von Thüringen ständig durch Schläge auf den Popo züchtigt. Außerdem teilte er mit, daß deren Schwager Heinrich Raspe Drogen nimmt und während der Arbeitzeit regelmäßig Mutterkorn kifft.
    Auf Anforderung faxt er die Krankenakte von Heinrich Raspe nach New York. Darauf hin setzt Rockefeller den Personalleiter Philipp von Schwaben in Bewegung, um Raspe zu kündigen.
    Betriebsrat Konradin widerspricht aber der Kündigung, da das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung der Ethik-Richtlinie mißachtet wurde. Nach Ansicht des Betriebsrats ist alles unwirksam. Ein Kündigungsrecht scheidet deshalb aus. Auch sei der Datenschutz sei wegen der Personalakte von Heinrich Raspe verletzt.
    Conny Rockefeller findet diesen europäischen Bedenkenzirkus einfach blöd und hinderlich.
    Der Betriebsrat Konradin bemängelt außerdem, daß die Rockefeller-Ethik-Richtlinien nur in englisch gehalten sind. Er besteht für das deutsche Tochterunternehmen und für den deutschen Betriebsrat auf einer guten Übersetzung in deutsch. Rockefeller findet das überflüssig. Er geht davon aus, daß mittlerweile die ganze Welt englisch bzw. amerikanisch zu sprechen hat.

Die Lösung

6. Folge der verletzten Mitbestimmung

    Da im vorliegenden Falle Arbeiteber Conny Rockefeller oder der deutsche Personalleiter Philipp von Schwaben den Betriebsrat Konradin nicht um Zustimmung und Abschluß einer Betriebsvereinbarung ersucht hat, ist die Ethik-Richtlinie in Bezug auf die Verfahrensvorschriften rechtsunwirksam. Der Betriebsrat kann verlangen, daß diese Vorschrift sofort vom Arbeitgeber zurückgezogen wird.
    Der Betriebsrat hat gegen den Arbeitgeber wegen Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Ziff. 1 Betriebsverfassungsgesetz einen unmittelbaren Unterlassungsanspruch. Wenn der Arbeitgeber auf seiner Richtlinie besteht, so kann der Betriebsrat das Arbeitsgericht anrufen. Dieses wird dann feststellen, daß die Vorschrift insoweit rechtsunwirksam ist.
    Im Ergebnis bedeutet dies, daß der Arbeitgeber auf die rechtsunwirksame Ethik-Richtlinie weder eine Abmahnung, noch eine Kündigung stützen kann.
    Unberührt davon bleibt allerdings der Umstand, daß Konrad von Marburg gleichwohl gegen das Gewaltverbot des Arbeitgebers verstoßen hat, das in jedem Falle rechtswirksam war. Sollte Schwager Heinrich Raspe mit Mutterkorn gekifft haben, so wäre auch dies ein Verstoß gegen den wirksamen Teil der Ethik-Richtlinie. In beiden Fällen wären dann arbeitsrechtliche Maßnahmen wie eine Abmahnung oder vielleicht auch eine Kündigung gerechtfertigt. Dies muß im Einzelfall geprüft werden.

7. Datenschutz

    Die Meldung von Verstößen durch einen Mitarbeiter an den Vorgesetzten oder an den Arbeitgeber über die Telefon-Hotline stellt keine Übermittlung von Daten im Sinne von § 3 Abs. 4 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz dar. Eine nach § 4 ff. BDSG einwilligungsbedürftige Übermittlung setzt voraus, daß die verantwortliche Stelle bereits gespeicherte oder durch Datenverarbeitung gewonnene personenbezogene Daten an Dritte weitergibt. Dies ist bei einem meldewilligen Mitarbeiter wie Heinrich von Salza aber nicht der Fall gewesen.
    Etwas anderes ist jedoch bei der Übermittlung der Personal- und Krankenakte von Heinrich Raspe nach New York per Fax gegeben. Hier handelt es sich um gespeicherte Daten. Die Konzermutter in den USA ist eine dritte Person. An eine solche dritte Person dürfen personenbezogene Daten nicht ohne Einwilligung des Mitarbeiters weitergegeben werden. Dies gilt erst recht für Krankendaten. Die Weitergabe von Krankendaten ist wegen der ärztlichen Schweigepflicht erst recht nur mit Einwilligung des Betroffenen zulässig.
    Zusätzlich ist zu beachten, daß personenbezogene Daten in Nicht-EU-Staaten nur übermittelt werden dürfen, wenn dort ein angemessenes Datenschutzniveau besteht. Fehlt es daran, ist die Übermittlung personenbezogener Daten grundsätzlich verboten.
    Ein angemessenes Datenschutzniveau besteht nur dann, wenn entweder in den Drittländern entsprechende Gesetze bestehen, oder – wie in den USA – eine freiwillige Selbstverpflichtung besteht, dem die jeweiligen US-Unternehmen beitreten müssen. Dies muß im Einzelfall geprüft werden.

8. Deutsche Sprache

    Entgegen den Gebräuchlichkeiten in globalisierten Konzernen muß es in Deutschland selbstverständlich sein, daß wichtige Dokumente, wie Ethik-Richtlinien auch angemessen ins Deutsche übersetzt werden. Dies gilt insbesondere vor Gericht, weil die Gerichtssprache deutsch ist.
    Aber auch der Betriebsrat hat einen Anspruch auf eine angemessene Information in deutscher Sprache. Er hat weiterhin einen Anspruch auf den Abschluß einer Betriebsvereinbarung in deutscher Sprache. Auch die Mitarbeiter müssen in deutscher Sprache unterrichtet werden. Dies gilt zumindest dann, wenn einzelne Mitarbeiter erkennbar nicht ausreichend englisch sprechen oder ein Mitarbeiter eine deutsche Übersetzung wünscht.
    Erfolgt die Übersetzung in die deutsche Sprache nicht, so ist die englischsprachige Regelung nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Transparenzgebot aufgrund der Doppeldeutigkeit rechtsunwirksam. Beruft sich der abgemahnte oder gekündigte Mitarbeiter darauf bzw. auf Verständnisschwierigkeiten, so hat der Arbeitgeber vor Gericht das Nachsehen.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug