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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 155: Neuer Abfindungsanspruch VI

Der Fall:

    Arbeitgeberin Callas hat die Mitarbeiterin Jackie betriebsbedingt mit Abfindungsangebot gekündigt. Jackie erhebt keine Kündigungsfeststellungsklage, sondern eine Weiterbeschäftigungsklage für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist. Sie will über eine höhere Abfindung bei Gericht verhandeln. Gelingt dies nicht, will sie die Klage zurücknehmen und die gesetzlich bestimmte Abfindung kassieren. Außerdem macht sie geltend, daß die Kündigungsfrist von Callas nicht eingehalten ist.
    Arbeitgeberin Callas hat auch ihren Buchhalter Onassis betriebsbedingt mit Abfindungsangebot gekündigt. Dieser hat nicht geklagt und das Abfindungsangebot akzeptiert. Noch vor Ablauf der Kündigungsfrist erfährt Callas von dem Verhältnis des Onassis mit der feschen Jackie. Das empört sie. Callas kündigt Onassis noch vor Ablauf der Kündigungsfrist außerordentlich fristlos. Sie meint, daß damit auch ihr Abfindungsangebot aus der ordentlichen Kündigung entfallen sei.

Die Lösung

1. Andere Klage - doppeltes Spiel?

    Kaum ist das Gesetz in der Welt, gibt es auch schon “kluge” Ratgeber, die dem Arbeitnehmer vorschlagen, einerseits das Angebot nach § 1 a KSchG anzunehmen, andererseits mittels einer Klage zu versuchen, diesen Abfindungsbetrag bei Gericht zu erhöhen. Es wird die Meinung vertreten, daß bei Scheitern dieser Verhandlung es problemlos möglich sei, diese Klage zurückzunehmen, ohne den Abfindungsanspruch nach § 1 a KSchG zu gefährden. Nach § 269 ZPO sei nämlich bei einer Klagerücknahme der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen.
    Dieser Meinung und dieser Taktik ist nicht zu folgen. Dies gilt auch dann, wenn Arbeitnehmerin Jackie statt einer Kündigungsfeststellungsklage nur eine Entgeltzahlungs- oder Weiterbeschäftigungsklage erhoben hat für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist mit der Begründung, daß die Kündigung unwirksam wäre.
    Nach Sinn und Zweck des § 1 a Absatz 1 KSchG setzt die gesetzlich geregelte Abfindungslösung nach dem Willen des Gesetzgebers voraus, daß der Arbeitnehmer ein Wahlrecht zwischen Klageerhebung oder Inanspruchnahme der Abfindung besitzt. Dieses Wahlrecht ist alternativ. Macht die Arbeitnehmerin die Jackie die Unwirksamkeit der Kündigung geltend, so kommt es letztlich nicht auf die Art der Klageerhebung an. Sie hat vielmehr gegen Sinn und Zweck des § 1 a Absatz 1 KSchG mit der Klageerhebung verstoßen. Damit ist eine Abfindungsvereinbarung nach dieser Vorschrift nicht zustandegekommen.
    Die “schlauen” Ratgeber berufen sich zwar auf § 269 Abs. 3 ZPO. Diese Vorschrift ist jedoch rein prozeßrechtlich zu sehen. Materiellrechtlich ist der Abfindungsanspruch durch Klageerhebung gescheitert. Die Klagerücknahme führt nicht zu einer Wiederbelebung oder Auferstehung des Abfindungsanspruchs nach § 1 a Absatz 1 KSchG. Dies ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck der Vorschrift.
    Es ist deshalb der Arbeitnehmerin Jackie gründlich davon abzuraten, diesen Weg zu beschreiten, wenn sie tatsächlich die angebotene Abfindung erhalten will. Folgt sie dem schlechten Rat, klagt und nimmt später die Klage zurück, so hat sie gar nichts: Weder Arbeitsverhältnis, noch Abfindung.

2. Kündigungsfrist

    Anders kann es sich verhalten, wenn mit der betriebsbedingten Kündigung die zwingende Mindestkündigungsfrist nicht eingehalten ist.
    Sofern die Arbeitnehmerin Jackie nicht die Rechtswirksamkeit der Kündigung per Klage anzweifelt, sondern nur Klage auf Einhaltung der Kündigungsfrist erhebt, verstößt sie meines Erachtens weder gegen den Wortlaut, noch gegen den Sinn und Zweck des § 1 a Absatz 1 KSchG. Arbeitgeberin Callas ist auch bei rechtswirksamer Kündigung verpflichtet, die vom Gesetz, Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag bestimmte Mindestkündigungsfrist einzuhalten. Soweit Arbeitnehmerin Jackie darauf besteht, greift sie die Kündigung an sich nicht an. Sie macht nur ihr Recht auf eine ordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend.
    Die Arbeitnehmerin ist auch deshalb auf die Einhaltung der zwingenden Kündigungsfrist angewiesen, weil sie sonst damit rechnen muß, daß die Arbeitsverwaltung insoweit einen Ruhenstatbestand für die Zahlung von Arbeitslosengeld nach § 143 a SGB III annimmt.
    Auch im Rahmen des § 1 a KSchG ist Arbeitnehmerin Jackie nicht verpflichtet, eine falsche Kündigungsfrist und die damit evtl. verbundenen Nachteile beim Arbeitslosengeldbezug in Kauf zu nehmen. Aus diesem Grunde wäre meines Erachtens eine Klage allein auf Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist für das Zustandekommen des Abfindungsanspruches unschädlich.
    Achtung: Diese Frage ist noch nicht durch die Gerichte geklärt und daher streitig.

3. Fristlose Kündigung

    Die vorzeitige fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Onassis braucht dieser nicht klaglos hinnehmen. Er hat ein Recht darauf, die fristlose Kündigung, die mit der betriebsbedingten Kündigung nicht im Zusammenhang steht, gerichtlich überprüfen zu lassen. Sofern diese fristlose Kündigung rechtsunwirksam ist, wäre das Arbeitsverhältnis durch die zuvor ausgesprochene ordentliche Kündigung mit der entsprechenden Kündigungsfrist beendet worden. Arbeitnehmer Onassis hat dann einen Abfindungsanspruch nach § 1 a KSchG.

4. Entstehen des Abfindungsanspruches

    Der Abfindungsanspruch des § 1 Absatz 1 KSchG entsteht erst mit Ablauf der in der Kündigungserklärung angegebenen Kündigungsfrist. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob diese Kündigungsfrist rechtlich zu kurz ist, oder ob sie über die verbindliche Mindestkündigungsfrist hinausgeht. Der Abfindungsanspruch entsteht jeweils mit dem Ablauf der Kündigungsfrist.
    Etwas anderes gilt dann, wenn die Arbeitnehmerin gegen eine zu kurze Kündigungsfrist klagt und gerichtlich die richtige Kündigungsfrist festgestellt wird. In diesem Falle würde der Abfindungsanspruch ausnahmsweise erst mit Ablauf der gerichtlich festgestellten richtigen Kündigungsfrist entstehen. Sofern die Arbeitnehmerin aber die zu kurze Kündigungsfrist akzeptiert, entsteht der Anspruch entsprechend früher.

5. Vorzeitige Beendigung

    Endet das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der im Kündigungsschreiben angegebenen Kündigungsfrist, so entsteht kein Abfindungsanspruch nach § 1 a KSchG. Das Arbeitsverhältnis könnte vor Ablauf der Kündigungsfrist z.B. durch eine rechtswirksame fristlose Kündigung, aber auch durch Tod oder Eigenkündigung des Arbeitnehmers oder durch einen vorgezogenen Auflösungsvertrag enden. Da der Abfindungsanspruch nach § 1 a Absatz 1 KSchG erst mit Ablauf der Kündigungsfrist entsteht, ist wegen Nichterreichung der Kündigungsfrist auch kein Abfindungsanspruch vorhanden.
    Ein Abfindungsanspruch würde in diesen Fällen nur dann entstehen, wenn er zusätzlich rechtsgeschäftlich vereinbart worden ist.

>> Nächste Folge: Abfindung nach § 1 a KSchG - praktische Probleme
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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug