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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 238: Beendigungsvergleich VI - Zeugnis

Der Fall

    Arbeitgeber Paris betreibt eine Schönheitsfarm. Wegen Zerwürfnissen entläßt er die beiden Nymphen Daphne und Calypso, ebenso die dienstälteste Sekretärin Pandora. Alle 3 wollen ein Top-Arbeitszeugnis von ihm.
    Pandora hat von Anfang an den ganzen Betrieb aufgebaut. Paris meint, sie habe deshalb auch alle Organisationsfehler zu verantworten. Er möchte dies im Zeugnis mitteilen, ebenso bei Daphne ihre vielen Krankheiten und die Elternzeit, bei Calypso ihre häufigen Verspätungen.
    Die Arbeitnehmerinnen meinen, daß Paris das nicht darf. Da weigert sich Paris, überhaupt ein Zeugnis zu erteilen.

Die Lösung

1. Zeugnisanspruch

    Der Zeugnisanspruch war in der Vergangenheit in verschiedenen Gesetzen und Rechtsgrundlagen geregelt. Mittlerweile ergibt er sich aus § 109 Gewerbeordnung. Danach hat der Arbeitnehmer bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis.

2. Zeugnisarten

    Nach § 109 Abs. 1 Gewerbeordnung gibt es das einfache Zeugnis und das qualifizierte Zeugnis.
    Das
    einfache Zeugnis muß mindestens Angaben zur Art und Dauer der Tätigkeiten enthalten. Es empfiehlt sich bei kurzen Beschäftigungszeiten mit wenig anspruchsvollen Tätigkeiten.
    Das qualifizierte Zeugnis muß auf Verlangen der Arbeitnehmerinnen von Paris ausgestellt werden. Es muß sich weiterhin auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstrecken. Dies gibt immer wieder Anlaß zu Streit, da insbesondere bei der Leistungsbeurteilung auch eine Benotung enthalten ist.

3. Zeugnisgrundsätze

    Das Zeugnis hat sich nach der Rechtsprechung an 4 Grundsätzen zu orientieren:
    – Grundsatz der Wahrheit,
    – Grundsatz des verständigen Wohlwollens,
    – Grundsatz der Vollständigkeit,
    – Grundsatz der individuellen Beurteilung.
    Darüber hinaus bestimmt §109 Abs. 2 Gewerbeordnung, daß das Zeugnis klar und verständlich formuliert sein muß. Es darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. Nach § 109 Abs. 3 Gewerbeordnung ist die Erteilung eines Zeugnisses in elektronischer Form ausgeschlossen.
    Diese Zeugnisgrundsätze sind nur schwierig miteinander zu vereinbaren. Insbesondere Wahrheitspflicht und Wohlwollen stehen in ständigem Widerstreit. Auch der Grundsatz der Vollständigkeit kann nicht in epischer Breite vom Arbeitgeber durchgeführt werden. Zeugnisse werden sonst unüberschaubar.

4. Gestaltungsfreiheit

    Der Arbeitgeber hat das Recht, Form, Inhalt und Formulierung zunächst einmal selbst zu bestimmen. Hinsichtlich der Form muß er europäische Mindeststandards einhalten. Der Inhalt wird durch die Zeugnisgrundsätze geprägt. Die Formulierung darf nicht zu kompliziert, zu gestelzt oder zu unbeholfen sein. Allerdings können die Arbeitnehmerinnen den Wortlaut nicht vorschreiben. Das darf im Falle eines Prozesses höchstens das Gericht.

5. Wahrheit und Wohlwollen

    Die Lösung dieses Konfliktes liegt in der Kunst des Weglassens. Um dem Grundsatz des Wohlwollens zu genügen, muß der Arbeitgeber viele schädliche Fakten weglassen, soweit dadurch nicht insgesamt der Inhalt des Zeugnisses gegen die Wahrheitspflicht verstößt.
    Wenn Pandora bei der Aufbauarbeit vor Jahren Fehler gemacht hat, so hat dies heute im Zeugnis nichts mehr zu suchen. Auch das Zuspätkommen von Calypso muß weggelassen werden, wenn dies kein Dauerzustand war. Allerdings darf Paris ihr keine „stetige Pünktlichkeit“ bescheinigen.
    Krankheitszeiten von Daphne haben grundsätzlich im Zeugnis nichts zu suchen, ebenso die Elternzeit. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn Elternzeit und Krankheit dazu führten, daß die Arbeitsleistungen der Mitarbeiterin aufgrund der heftigen Krankheitszeiten praktisch nicht mehr bewertbar war. Dies ist der absolute Ausnahmefall.

6. Schlußformulierungen

    Bestimmte Schlußformulierungen sind freiwillig, z.B.:
    – „Ihr Ausscheiden nehmen wir mit besonderem Bedauern zur Kenntnis“,
    – „Die Mitarbeiterin hat sich um das Unternehmen besonders verdient gemacht“,
    – Wir wünschen ihr für ihre private und berufliche Zukunft alles Gute und viel Erfolg“.
    Solche in die Zukunft gerichteten Formulierungen oder bedauernden Formulierungen sind nicht einklagbar und alleine Sache des Arbeitgebers. Sie besitzen deshalb in der Wertigkeit eine besondere Bedeutung in der Beurteilung von Zeugnissen.

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug