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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Änderungskündigung I

Frage:

Kann ich nach einer betriebsbedingten Kündigung auf einem anderen, vielleicht schlechteren Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden, muß mir dann der Arbeitgeber diesen Arbeitsplatz anbieten? Wer entscheidet darüber, ob mir ein anderer, geringerwertiger Arbeitsplatz zumutbar ist oder nicht? Kann mir der Arbeitgeber einen solchen Arbeitsplatz verwehren, mit der Feststellung, daß aus seiner Sicht eine solche Abstufung unzumutbar sei?

Der Fall:

    Arbeitgeber Guy de Maupassant betreibt ein Pharmarunternehmen, das wegen der anstehenden Gesundheitsreformen zum ersten Mal sparen muß. Aus diesem Grunde rationalisiert Guy de Maupassant und legt mehrere Abteilungen zusammen. Dadurch fallen Abteilungsleitungen weg.
    Emil Nolte war bisher Leiter der Abteilung Marketing. Durch die Neuordnung im Pharmaunternehmen wird die Marketingabteiung aufgelöst und das Marketing der Vertriebsabteilung zugeordnet. Der Abteilungsleiterposten fällt weg. Allerdings wird innerhalb der Vertriebsabteilung die Position des Ressortleiters Marketing mit einer deutlichen Vergütungsabsenkung neu geschaffen.
    Guy de Maupassant spricht gegenüber Emil Nolte eine Beendigungskündigung aus, da er die Weiterbeschäftigung von Nolte auf dem Ressortleiterposten für unzumutbar hält. Emil Nolte, dem mit 58 Jahren die Arbeitslosigkeit auf seiner Warft in Seebüll droht, klagt und möchte wenigstens als Ressortleiter weiterbeschäftigt werden.
    Dem Boten Andy Warhol kündigt Guy de Maupassant per Änderungskündigung. Er bietet ihm eine neue Botentätigkeit mit einer reduzierten Wochenarbeitszeit von 25 Stunden und einem neuen Stundenlohn mit 10 Euro statt 15 Euro/Stunde an. Da die Kündigungsfrist 6 Monate dauert, soll diese Änderung aber ab sofort eintreten. Andy Warhol lehnt eine solche Veränderung ab.
    Der Cheffahrer Robert Mitchum erhält eine Änderungskündigung mit einer Reduzierung seines Lohnes um 30 % und seines Urlaubs um zwei Wochen. Robert Mitchum erklärt schriftlich, daß er unter keinen Umständen mit einer solchen Vertragsverschlechterung einverstanden sei. Als Spitzenfahrer mit Formel I-Erfahrung finde er jederzeit und überall einen besseren Job.

Die Lösung

1. Beendigungskündigung als letztes Mittel

    Im Falle von Umstrukturierungen, Wegfall eines Arbeitsplatzes und sonstigen Veränderungen ist die Beendigungskündigung nach ständiger Rechtsprechung und dem Willen des Gesetzgebers nach § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz nur das letzte Mittel (ultima ratio) zur Regelung des Problems.
    Soweit eine anderweitige Beschäftigung, auch zu veränderten Bedingungen, auf anderen Arbeitsplätzen möglich ist, muß der Arbeitgeber Guy de Maupassant nach der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts generell eine Änderungskündigung anstatt der Beendigungskündigung aussprechen. In einem solchen Fall liegt kein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Beendigungskündigung vor.
    Ein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.d. Kündigungsschutzgesetzes für eine Beendigungskündigung liegt nur vor, wenn eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit des zu Kündigenden ausscheidet. Das Kündigungsschutzgesetz fordert vom Arbeitgeber zuvor die Durchführung aller möglichen Maßnahmen technischer, organisatorischer oder wirtschaftlicher Art, um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses vermeiden zu können.
    Daraus folgt, daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer jede objektiv mögliche und zumutbare Beschäftigung auf freien Arbeitsplätzen, auch zu geänderten Bedingungen, anbieten muß.

2. Änderungskündigung vor Beendigungskündigung

    Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (ultima-ratio-Prinzip) ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Mitarbeiter Emil Nolte eine Änderungskündigung auszusprechen. Dies gilt selbst dann, wenn der Mitarbeiter zunächst ein Angebot zur veränderten Beschäftigung abgelehnt hat.
    Eine Änderungskündigung beinhaltet zwei Schritte. Zum einen spricht der Arbeitgeber mit der Änderungskündigung eine Beendigungskündigung aus zu einem bestimmten Zeitpunkt unter Einhaltung der Kündigungsfrist. In einem zweiten Schritt bietet der Arbeitgeber dem Mitarbeiter die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz zu geänderten Bedingungen an. Der Mitarbeiter kann dann auswählen, ob er die geänderten Bedingungen annimmt oder generell ablehnt. Er kann schließlich auch die geänderten Bedingungen unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Überprüfung annehmen und dann vor dem Arbeitsgericht klagen. Obsiegt er vor dem Arbeitsgericht, so gelten die alten Arbeitsbedingungen weiter. Verliert er vor dem Arbeitsgericht, so gelten die neuen, veränderten Arbeitsbedingungen. Er hat sich dann aber seinen Arbeitsplatz erhalten.
    Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muß der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung dem Arbeitnehmer von sich aus eine beiden Parteien objektiv mögliche und zumutbare Beschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Bedingungen anbieten, wenn ein solcher vorhanden ist. Er ist aber nicht verpflichtet, in jedem Fall mit dem Arbeitnehmer eine einvernehmliche Lösung zu suchen. Auch ohne vorherige Verhandlungen mit dem Arbeitnehmer kann er direkt eine Änderungskündigung aussprechen, indem er das Angebot für die neue Arbeitsstelle und die Beendigungskündigung miteinander verbindet.

3. Extremfälle

    Eine Änderungskündigung darf lediglich in Extremfällen unterbleiben. Dies gilt dann, wenn der Arbeitgeber bei vernünftiger Betrachtung nicht mit einer Annahme des neuen Vertragsangebots durch den Arbeitnehmer rechnen konnte. Das Bundesarbeitsgericht geht hier insbesondere von Fällen aus, in denen das Angebot einer anderen Arbeitsstelle einen beleidigenden Charakter gehabt hätte.
    Beispiel: Einen solchen Extremfall nimmt das Bundesarbeitsgericht z.B. dann an, wenn dem bisherigen Personalchef eine Pförtnerstelle angeboten wird oder wenn der bisherige Vorgesetzte in Zukunft seinen vormaligen Untergebenen untergeordnet werden soll.
    Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts soll vielmehr der zu kündigende Arbeitnehmer grundsätzlich selbst darüber entscheiden, ob er eine Weiterbeschäftigung unter möglicherweise erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen für sich selbst für zumutbar hält oder nicht. Letztendlich muß jeder Arbeitnehmer für sich selbst entscheiden, was zumutbar ist. Es handelt sich dabei um ein mehr subjektives, als ein objektives Kriterium.
    Gerade der ehemalige Abteilungsleiter Nolte muß entscheiden, ob er ggf. die letzten Jahre seines Arbeitslebens mit einer Weiterbeschäftigung zu veränderten Bedingungen einverstanden ist oder ob er das große Risiko der Arbeitslosigkeit eingehen will. Hier kann Arbeitgeber Guy de Maupassant keine objektiven Betrachtungen anstellen, da jeder Fall anders ist.
    Beispiel: Das Bundesarbeitsgericht hat ein anderes Beispiel angezogen, wonach eine Teilzeitbeschäftigung als Alternative zur Beendigungskündigung von seiten des Arbeitgebers nicht mit der Begründung abgelehnt werden darf, mit dem verbleibenden Einkommen könne der Arbeitnehmer seine Familie nicht ernähren. Ob die Möglichkeit eines Zuverdienstes besteht und ob dazu eine Beschäftigung im Interesse des Arbeitnehmers eher entspricht, als die Arbeitslosigkeit, kann alleine der Arbeitnehmer beurteilen. Deshalb muß der Arbeitnehmer selbst entscheiden, ob er eine Weiterbeschäftigung unter verschlechterten, möglicherweise erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen für zumutbar hält oder nicht.

4. Endgültige Ablehnung

    Hat der Arbeitgeber im Vorfeld mit dem Cheffahrer Robert Mitchum wegen einer Verschlechterung seiner Arbeitsbedingungen verhandelt und der Arbeitnehmer eine solche Verschlechterung endgültig und unwiderruflich abgelehnt, so braucht der Arbeitgeber keine Änderungskündigung mehr aussprechen. Dazu ist aber erforderlich, daß der Arbeitnehmer hat erkennen lassen, daß er das Änderungsangebot in keinem Falle annehmen werde.
    Alleine die Ablehnung eines der Kündigung vorangegangenen Angebots auf eine einvernehmliche Abänderung des Arbeitsverhältnisses enthebt den Arbeitgeber hingegen nicht von der Verpflichtung, das Änderungsangebot mit einer nachfolgenden Beendigungskündigung erneut zu verbinden. Denn die Ablehnung eines einvernehmlichen Änderungsvertrages schließt nicht aus, daß der Arbeitnehmer bereit ist, zu den geänderten Arbeitsbedingungen weiterzuarbeiten, wenn sich in einem Kündigungsschutzverfahren die Berechtigung der Änderung herausstellen sollte.
    Beachte: Nur in dem speziellen Fall, in dem der Arbeitnehmer das Änderungsangebot unmißverständlich und bedingungslos ablehnt, wäre eine Änderungskündigung überflüssig. Es sollte sich der Arbeitgeber in jedem Falle schriftlich geben lassen, da er anderenfalls Gefahr läuft, bei einer Beendigungskündigung des Kündigungsschutzprozeß zu verlieren.

5. Kündigungsfrist

    Der Arbeitgeber kann nicht gegen den Willen des Arbeitnehmers die verschlechterten Bedingungen schon während der Kündigungsfrist umsetzen, wenn nicht ein ganz schwerwiegender Sachverhalt vorliegt, z.B. die geschuldete Arbeit überhaupt nicht mehr vorhanden ist.
    Lehnt der Bote Andy Warhol es ab, auf das Angebot des Arbeitgebers Guy de Maupassant sofort zu verschlechterten Bedingungen, als Teilzeitmitarbeiter mit 25 Stunden und verringertem Lohn weiterzuarbeiten, so läßt dies noch nicht ohne weiteres die Schlußfolgerung zu, der Mitarbeiter Andy Warhol hätte auch eine entsprechende Änderungskündigung unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist nicht angenommen.
    Wenn der Arbeitnehmer mit einer solchen vorgezogenen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nicht einverstanden ist, so muß der Arbeitgeber gleichwohl eine Änderungskündigung aussprechen mit dem Inhalt, nach Ablauf der Kündigungsfrist die geänderten, verschlechterten Bedingungen anzubieten. Dem Arbeitnehmer bleibt es dann überlassen, diese Bedingungen anzunehmen oder abzulehnen.
     

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug