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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 259: Heiße Tage – V – Maßnahmen (1)

Der Fall

    Arbeitgeber Karl der Kahle hat schon viele Hitzewellen im Laufe seines langen Lebens überstanden. Er ist alt und müde und möchte nur noch seine Ruhe. Am liebsten ist ihm, wenn der Betrieb so weiterläuft wie er schon immer lief.
    Den Arbeitnehmer Pippin drückt die sommerliche Hitze furchtbar auf seine kurzen Beine, so daß er vor lauter Schwellungen kaum noch stehen kann. Er möchte möglichst früh am morgen in der Kühle mit seiner Arbeit beginnen.
    Arbeitnehmer Caracalla dagegen erinnert sich an seine italienische Heimat. Ihm wäre am liebsten, die Arbeitszeit möglichst in den kühleren Abend hinein zu verschieben.
    Die neugewählte Betriebsrätin Florence Nightingale wird deshalb beim Arbeitgeber Karl vorstellig. Sie will vor allem die Gleitzeitregelung für die Sommertage flexibilisieren und die Kernzeitregelung aufheben, um den Arbeitnehmern ein Ausweichen in den Morgen oder Abend zu ermöglichen.
    Karl der Kahle fragt seinen Rechtsberater Mephisto Ulpianius, ob er reagieren muß.

Die Lösung

1. Arbeitsschutzgesetz – Pflichten des Arbeitgebers

    Der Gesetzgeber hat in § 3 Arbeitsschutzgesetz dem Arbeitgeber klar die Verpflichtung auferlegt, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu ergreifen. Nach § 4 dieses Gesetzes muß die Arbeit so gestaltet werden, daß eine Gefährdung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden wird und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird.
    Dies gilt in erster Linie für die Gefahren, die aus der Arbeit, von Maschinen und durch Arbeitsabläufe bedingt sind. Letztendlich aber gilt dies auch für eine Gesundheitsgefährdung durch große Hitze am Arbeitsplatz, mag sie von Maschinen verursacht sein, oder durch die Außentemperatur.
    § 4 Arbeitsschutzgesetz verpflichtet den Arbeitgeber, die Gefahren an ihrer Quelle zu bekämpfen. Dies ist bei großer Hitze möglich, wenn die Hitze von den Arbeitsmitteln, den Maschinen etc. ausgeht. Gegen das Wetter allerdings kann der Arbeitgeber nicht kämpfen.
    Das Gesetz will weiterhin, daß bei der Durchführung entsprechender Schutzmaßnahmen der Stand der Technik und Arbeitsmedizin zu berücksichtigen ist. Die Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, Technik und Arbeitsorganisation sowie sonstige Arbeitsbedingungen sachgerecht miteinander zu knüpfen. Dabei ist der kollektive Schutz vorrangig. Individuelle Schutzmaßnahmen müssen zurückstehen, soweit sie den kollektiven betrieblichen Maßnahmen entgegenstehen, oder ihre Realisierung unverhältnismäßig wäre (§ 4 Ziff. 5 Arbeitsschutzgesetz).
    Auch wenn der Gesetzgeber in den verschiedenen Vorschriften offen gelassen hat, welche Maßnahmen vom Arbeitgeber zum Schutz der Gesundheit der Mitarbeiter im einzelnen ergriffen werden, so hat der Gesetzgeber jedoch immer wieder unmißverständlich dem Arbeitgeber die Pflicht auferlegt, Maßnahmen zu ergreifen, soweit dies technisch möglich und organisatorisch möglich sowie wirtschaftlich zumutbar erscheint.
    Sollte der Arbeitgeber dies pflichtwidrig unterlassen, müßte ggf. der Betriebsrat im Wege des Initiativrechtes vorstellig werden und Vorschläge nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz machen oder mitbestimmungspflichtige Maßnahmen nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz einfordern.

2. Änderung der Arbeitszeit

    In vielen Fällen kann gerade bei großer Hitze am Tage eine Entlastung der Mitarbeiter schon dadurch erreicht werden, daß die Arbeitszeit in den Morgen oder in den Abend verschoben wird. Wenn dies technisch möglich ist und kein Schichtbetrieb besteht, so sind diese Maßnahmen regelmäßig für den Arbeitgeber auch am kostengünstigsten durchzuführen.
    Welche Regelungen im einzelnen sachgerecht sind, muß in jedem Unternehmen bzw. in jedem Betrieb im einzelnen geprüft werden. Vom Grundgedanken her hat sich eine Verlagerung der Arbeitszeit in die frühen Morgenstunden bewährt, zum Teil aber auch eine Verlagerung in die Abendstunden.
    Sofern eine Gleitzeitvereinbarung besteht, muß in diesen Fällen die Regelung über die Kernarbeitszeit und die Anwesenheitspflicht der Arbeitnehmer suspendiert werden. Die Kernarbeitszeit muß aufgehoben oder umverlegt werden.
    Erfahrungsgemäß sind die Wünsche und persönlichen Bedürfnisse der Arbeitnehmer unterschiedlich gestaltet. Es empfiehlt sich deshalb, darüber nachzudenken, inwieweit es die Betriebsabläufe zulassen, auch den Arbeitnehmern die Einteilung ihrer Arbeitszeit freizustellen und individuelle Regelungen zu ermöglichen.

3. Mitbestimmung des Betriebsrats

    Jede Veränderung der betrieblichen Arbeitszeit ist zwingend mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz. Dies gilt insbesondere für die Veränderung der Gleitzeitarbeit und der mit dem Betriebsrat festgelegten Gleitzeitordnung.
    Die Mitbestimmung des Betriebsrats kann weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer und den Arbeitnehmern gemeinsam ausgeschaltet werden.
    Dies wäre auch nicht sinnvoll. Soweit nämlich Betriebsrat und Arbeitgeber einer gemeinsame Betriebsvereinbarung über die Arbeitszeit in Hitzeperioden abschließen, gilt diese Betriebsvereinbarung gem. § 77 Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz unmittelbar und zwingend in allen Arbeitsverhältnissen des Betriebes. Der Arbeitgeber braucht dann in der Regel keine weiteren individualrechtlichen Maßnahmen durchzuführen, um die neue Arbeitszeitregelung gegenüber den Mitarbeitern durchzusetzen.
    Achtung: Etwas anderes gilt nur dann, wenn einzelne Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrages eine für sie spezielle Arbeitszeitregelung getroffen haben. Dies gilt vor allem für Teilzeitarbeitnehmer. Nach dem Günstigkeitsprinzip gilt diese Individualabrede weiter. Sie wird nicht durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst oder aufgehoben.
    Es ist im übrigen dringend zu empfehlen, die Betriebsvereinbarung über die neue Arbeitszeitregelung offen zu gestalten und nicht als Zwangsinstrument einzusetzen. Dies bedeutet, daß die Betriebsvereinbarung die Möglichkeit einer Arbeitszeitverlagerung eröffnet, ohne die Arbeitnehmer dazu zu zwingen. Es darf dabei nämlich nicht verkannt werden, daß einzelne Arbeitnehmer aufgrund privater Verpflichtungen vielleicht nicht in der Lage sind, ohne weiteres ihre bisherige Arbeitszeit zu verlagern.

4. Direktionsrecht

    Soweit im Betrieb ein Betriebsrat nicht existiert, entfällt die Möglichkeit der unmittelbar zwingend geltenden Betriebsvereinbarung. Wenn in diesen Fällen der Arbeitgeber die Arbeitszeit flexibilisieren will, so geschieht dies in der Regel durch sein Direktionsrecht oder durch eine entsprechende Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer.
    Ob das Direktionsrecht gegen den Willen des Arbeitnehmers jedoch eine Arbeitszeitverlagerung zuläßt, muß im Einzelfall geprüft werden. Dies hängt von der Ausgestaltung des Arbeitsvertrages ab. Soweit nur eine Wochenarbeitszeit vereinbart ist, liegt die Bestimmung des täglichen Beginns und Endes der Arbeitszeit regelmäßig in der Hand des Arbeitgebers. Etwas anderes könnte sich allerdings ergeben, wenn durch eine langjährige Übung eine Konkretisierung auf eine bestimmte Arbeitszeit eingetreten ist.
    Sofern das Direktionsrecht nicht greift, wäre eine Änderungskündigung oder eine Änderungsvereinbarung vonnöten. Auch hier empfiehlt es sich, soweit wie möglich auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter einzugehen.

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug