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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 257: Heiße Tage am Arbeitsplatz - III

Der Fall:

    Arbeitgeberin Annette von Droste hat wunderschöne Betriebsräume im Herbst angemietet mit großen Fenstern, Helligkeit und Südhanglage. Im Sommer aber knallt die Sonne auf das Gebäude und heizt die Räume auf 30 Grad und mehr auf.
    Arbeitnehmer Schopenhauer ist sonnen- und wärmeempfindlich. Er kann kaum noch arbeiten und verlangt hitzefrei bei voller Bezahlung.
    Arbeitnehmern Charlotte Buff ist von Johann Wolfgang im 6. Monat schwanger. Sie leidet sehr unter der Hitze und will von den großen Fenstern weg.
    Arbeitnehmer Fjodor Ivanovic war schon im Winter recht durstig. Jetzt fordert er von Arbeitgeberin Annette wegen der Hitze kostenlose Getränke aller Art.
    Dem Betriebsrat Guiseppe Verdi hat es bei den hohen Temperaturen fast die Stimme verschlagen. Er macht ein Mitbestimmungsrecht geltend und verlangt von Annette das Anbringen von Sonnenjalousien, die Einführung von Nachtarbeit, kostenlose Getränke für alle und eine bezahlte verlängerte Mittagspause mit Liegestühlen unter schattigen Bäumen.
    Arbeitgeberin Annette ist verzweifelt. Sie will die Räume wieder kündigen, wenn sie eine andere Betriebsstätte findet. Kurzfristig bietet sie den Arbeitnehmern Kurzarbeit an, allerdings bei voller Lohnkürzung.

Die Lösung

7. Temperaturgrenze 26 Grad Celsius

    Im Gesetz, d.h. in der Arbeitsstättenverordnung ist die Temperaturgrenze von 26 Grad Celsius als Höchsttemperatur in Betriebsstätten nicht aufgeführt. Diese Obergrenze findet sich nur ein Mal in Ziff. 3.3 der Arbeitsstätten-Richtlinie Raumtemperaturen Nr. 6. Doch auch dort ist diese Vorschrift lediglich eine Soll-Vorschrift. Der Arbeitnehmer kann die Einhaltung dieser Vorschrift nicht erzwingen.
    Achtung: Die Arbeitsstätten-Richtlinien sind – im Gegensatz zur Arbeitsstättenverordnung – keine Gesetze oder Rechtsnormen. Es handelt sich hierbei um arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und Empfehlungen, die vom Gesetzgeber übernommen worden sind, ohne daß der Gesetzgeber diese Richtlinien in Gesetzesform gegossen hätte.
    Außerdem gilt nach den Hinweisen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin die Grenze von 26 Grad Celsius in der ASR 6 nur für Temperatureinflüsse, die durch die Betriebsanlagen selbst, d.h. durch warme Maschinen, die Beleuchtung, Heizung usw. verursacht wird. Sofern die Innentemperatur durch hohe Außentemperaturen erhöht wird, gilt die Regelung, daß die Lufttemperatur zumindest in Ausnahmefällen höher sein darf.
    Somit können sich die Arbeitnehmer die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zum Gewerbemietrecht nicht zunutze machen. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist alleine auf das Verhältnis zwischen dem Vermieter und der Arbeitgeberin als Mieterin bezogen.
    Generell muß davon ausgegangen werden, daß Überschreitungen der Grenze von 26 Grad Celsius in Arbeitsräumen durch sommerliche Hitze nicht automatisch eine Verletzung der Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin beinhaltet.
    Allerdings folgt aus § 3 Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung, daß die Arbeitgeberin dafür zu sorgen hat, daß von den Arbeitsstätten keine Gefährdung für die Gesundheit der Beschäftigten ausgeht. Dies bedeutet, daß die Arbeitgeberin versuchen muß, gesundheitlich erträgliche Raumtemperaturen durch organisatorische oder praktische Maßnahmen herzustellen. Dabei darf sie die Besonderheiten der betrieblichen Verhältnisse und die Grundsätze der wirtschaftlichen Verhältnismäßigkeit berücksichtigen.
    Inwieweit die Pflicht zur Ergreifung einzelner Maßnahmen, z.B. der Einführung einer Klimaanlage, von Jalousien oder Dienstbefreiung/Hitzefrei besteht, muß im Einzelfall geprüft werden (dazu später).

8. Wohlbefinden

    Aus der gesetzlichen Formulierung „keine Gefährdung für die Gesundheit der Beschäftigten“ muß gefolgert werden, daß die Arbeitnehmer von Seiten der Arbeitgeberin nicht verlangen können, daß schon ihr bloßes Wohlbefinden durch Absenkung der Raumtemperatur gesteigert wird.
    Es besteht zwar ein erhebliches Eigeninteresse der Arbeitgeberin für ein „gutes Klima“ im Betrieb zu sorgen. Die schädlichen Folgen einer hohen Raumtemperatur und damit die Beeinträchtigung der Arbeitgeberinteressen liegen auf der Hand, wie nachlassende Leistungsfähigkeit, Gefährdung der Gesundheit mit Krankschreibungen, Konzentrationsschwächen, steigende Unfallgefahr etc. Die Arbeitgeberin muß jedoch erst dann aufgrund ihrer Fürsorgepflicht eingreifen, wenn die Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Arbeitnehmer umschlägt in eine Gesundheitsgefährdung.
    Diese Grenzen sind fließend und objektiv nicht ohne weiteres festzumachen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil auch die subjektiven Befindlichkeiten der einzelnen Arbeitnehmer teilweise sehr unterschiedlich sind.

9. Schwangere / Jugendliche

    Für Schwangere und stillende Mütter gibt es besondere Schutzvorschriften.
    § 4 Abs. 1 Mutterschutzgesetz verbietet für werdende Mütter, also für Schwangere, die Beschäftigung mit Arbeiten, bei denen sie schädlichen Einwirkungen u.a. von Hitze oder Kälte ausgesetzt sind. Dies bedeutet, daß Arbeitgeberin Annette der schwangeren Mitarbeiterin Charlotte Buff in jedem Falle einen Arbeitsplatz geben muß, der auch von der Raumtemperatur her zuträglich ist und die schwangere Charlotte nicht der Hitze aussetzt. Allerdings spielt auch die subjektive Befindlichkeit der Schwangeren eine Rolle. Sofern Charlotte besonders wärmeliebend ist, wären vielleicht 20 oder 30 Grad noch zuträglich. Insoweit muß aber mit ihr ein Einvernehmen erzielt werden.
    Dasselbe Beschäftigungsverbot gilt gem. § 6 Abs. 3 Mutterschutzgesetz auch für stillende Mütter nach der Entbindung.
    Für Jugendliche gibt es ebenso besondere Schutzvorschriften. Nach § 22 Jugendarbeitsschutzgesetz dürfen Jugendliche nicht mit gefährlichen Arbeiten beschäftigt werden, die ihre Gesundheit gefährden. In § 22 Abs. 1 Ziff. 4 Jugendarbeitsschutzgesetz ist geregelt, daß Jugendliche nicht mit Arbeiten beschäftigt werden dürfen, bei denen ihre Gesundheit durch außergewöhnliche Hitze oder Kälte oder starke Nässe gefährdet wird. Die Frage, was außerordentliche Hitze im Sinne des Gesetzes ist, muß in jedem Einzelfall geprüft und beantwortet werden. Auch hier hat der Gesetzgeber keine objektive Temperaturgrenze angegeben.
    Da auf die Gesundheitsgefährdung sowohl bei Schwangeren, stillenden Müttern wie auch bei Jugendlichen abgestellt wird, muß jeweils im Einzelfall geprüft werden, wie die gesundheitliche Konstitution der Mitarbeiter ist und ob individuell betrachtet eine Gesundheitsgefährdung vorliegt oder ob die erhöhte Temperatur im Einzelfall sogar das Wohlbefinden fördert.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug