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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 157: § 1 a KSchG - Die sozialrechtlichen Folgen / Probleme

Der Fall:

    Arbeitnehmer Brentano wird von seinem Arbeitgeber Achim von Arnim betriebsbedingt gekündigt, weil mit der Fertigstellung der Sammlung “Des Knaben Wunderhorn” keine Arbeit mehr für Brentano vorhanden ist. Arbeitgeber Arnim macht ein Abfindungsangebot gemäß § 1 a KSchG. Brentano fragt, ob er bei Annahme des Angebots mit einer Sperrzeit beim Arbeitslosengeld zu rechnen hat.
    Arbeitgeber Schubert will den alten 58jährigen Heine endlich kündigen. Die teure Abfindung nach § 1 a KSchG will er aber nur zahlen, wenn er aus der noch teureren Erstattungspflicht für das Arbeitslosengeld gegenüber dem Arbeitsamt herauskommt. Geht das?

Die Lösung

1.

    Der Gesetzgeber hat § 1 a KSchG geschaffen, um die Arbeitsgerichte zu entlasten und um unnötige Prozesse mit dem Ziel einer Abfindung zu verhindern.
    Nach diesem Sinn und Zweck des Gesetzes kann es nicht richtig sein, wenn das Arbeitsamt dem Arbeitnehmer eine Sperrfrist gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III bei der Zahlung des Arbeitslosengeldes nur deshalb verhängt, weil der Arbeitnehmer nicht gegen die Kündigung geklagt hat.
    Allerdings gibt es eine Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit (Stand 8/2003), in der es heißt:
    “Bei einer rechtswidrigen Kündigung mit finanziellen Vergünstigungen kann eine Beteiligung des Arbeitnehmers an der Beendigung vorliegen, wenn der Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit erkannt hat oder die Rechtswidrigkeit für ihn offensichtlich war”.
    Nach dieser Dienstanweisung könnte die Bundesagentur eine Sperrfrist verhängen, wenn die Rechtswidrigkeit der Kündigung erkennbar war. Dagegen geht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ebenso wie § 1 a KSchG davon aus, daß es legitim ist, wenn ein Arbeitnehmer bei einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung und Einhaltung der Kündigungsfrist eine angebotene Abfindung ohne Prüfung annimmt und nicht klagt.
    Trotzdem hat der Gesetzgeber hinsichtlich der Verhängung einer Sperrfrist keine klarstellende gesetzliche Regelung im SGB III getroffen. Andererseits geht aus der Gesetzesbegründung des § 1 a KSchG deutlich hervor, daß die Abfindungsvereinbarung sowohl bei rechtmäßiger wie auch bei rechtswidriger Kündigung in gleicher Weise ermöglicht werden sollte.
    In dieser Lage muß davon ausgegangen werden, daß die Bundesagentur für Arbeit bzw. das zuständige Arbeitsamt bei der Durchführung des § 1 a KSchG im allgemeinen keine Sperrzeit verhängt. Dies ist nicht sicher, wäre aber ein Verstoß gegen den Geist des Gesetzes.
    Allerdings bleibt es dem jeweiligen Arbeitsamt unbelassen, im Einzelfall Umgehungstatbestände zu überprüfen und trotz der Vorgehensweise nach § 1 a KSchG im Einzelfall für das Arbeitslosengeld eine Sperrzeit gemäß § 144 Absatz 1 Nr. 1, § 128 SGB III zu verhängen.
    Fazit: Ein gewisses Sperrzeit-Risiko bleibt für den Arbeitnehmer bei Verfahren nach § 1 a KSchG

2. Erstattungspflicht nach § 147 a SGB III

    § 147 a SGB III sieht vor, daß der Arbeitgeber bei der Entlassung älterer Arbeitnehmer ab Vollendung des 56. Lebensjahres ggf. eine Erstattungspflicht für das nach Vollendung des 58. Lebensjahres gezahlte Arbeitslosengeld trifft. Diese Erstattungsfrist kann längstens für 24 Monate bestehen. Mit dieser Erstattung können auf den Arbeitgeber neben der schon gezahlten Abfindung erhebliche zusätzliche Kosten zukommen, die sich evtl. auf weit höhere Beträge belaufen, als die gezahlte Abfindung.
    Neben verschiedenen Befreiungstatbeständen tritt eine Erstattungspflicht des Arbeitgebers nach § 147 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III nicht ein:
    – wenn er das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat.
     Dabei ist das Arbeitsamt an eine rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts über die soziale Rechtfertigung einer Kündigung und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebunden.
     Aus dieser Vorschrift folgt aber auch, daß der Abfindungsweg über § 1 a KSchG keinesfalls zu einer Entlastung des Arbeitgebers nach dieser Vorschrift führt. Vielmehr muß das Arbeitsamt auch bei der Vorgehensweise nach § 1 a KSchG prüfen, ob tatsächlich eine sozial gerechtfertigte Kündigung vorlag. Im Zweifel wird das Arbeitsamt geneigt sein, eine solche sozial gerechtfertigte Kündigung nicht anzunehmen. Der Arbeitgeber muß deshalb in solchen Fällen neben der Abfindungszahlung noch mit einer Erstattungspflicht gegenüber dem Arbeitsamt rechnen.
     Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber  erst jüngst im Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt durch die Änderungen des § 147 a SGB III die Erstattungspflicht der Arbeitgeber noch verschärft hat.
    Fazit: Hier empfiehlt sich dringend eine vorherige Rücksprache mit dem Arbeitsamt zu nehmen.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug