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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 252: Ethik-Regeln XII – Whistleblowing / Meldung von Ethik-Verstößen (1)

Der Fall

    Der globale Unternehmer Conny Rockefeller führt in seiner United Oil Company und in allen ausländischen Tochtergesellschaften Ethik-Richtlinien ein. Zur Meldung von Ethik-Verstößen regelt er folgendes:
    „I. Sie werden aufgefordert, ethische Bedenken unverzüglich vorzubringen. Ihre Bedenken können Sie dem Vertrauens-Vorgesetzten vorbringen oder dem nationalen Ethik-Büro oder durch eine vertraulich arbeitende anonyme Hotline. Wenn Ihre ethischen Bedenken trotz Meldung nicht gelöst werden, sollten Sie diese an anderer Stelle erneut vorbringen.
    II. Eine der wichtigsten Aufgaben aller Mitarbeiter ist die Verpflichtung, die Beobachtung einer möglichen Verletzung der Ethik-Richtlinie oder der Gesetze zu melden. Sollten Sie eine Meldung unterlassen, so können Sie dem Unternehmen oder den Mitarbeitern schaden. Deshalb ist jeder Mitarbeiter verpflichtet, jede bekannte oder vermutete Verletzung der Gesetze, gültiger Bestimmungen oder dieser Ethik-Regeln unverzüglich mitzuteilen.
    III. Sie können die Meldung wie folgt vorbringen:
    – Nutzen Sie die Politik der Offenen Tür bei Ihrem Vorgesetzten. Dies ist der direkteste Weg, außer wenn Sie meinen, Ihr Vorgesetzter ist bei dem Fehlverhalten beteiligt. Wenden Sie sich dann an die nächsthöhere Stelle,
    – oder kontaktieren Sie das Ethik-Büro,
    – oder benutzen Sie die Ethik-Hotline. Jede Niederlassung hat ein Telefon, mit dem Sie auf vertraulicher und anonymer Basis Ihr Anliegen in der Zentrale in New York vorbringen können.
    IV. Jeder Angestellte, der in gutem Glauben über eine Mißachtung berichtet, braucht für diesen Bereich keine negativen Konsequenzen zu fürchten.“
    Der verarmte Jakob Fugger stellt in der Niederlassung Augsburg fest, daß ständig giftige Brühe in den Lech eingeleitet wird. Da er niemandem traut, meldet er die Einleitungen unmittelbar der Umweltpolizei. Als Betriebsleiter Franz-Josef davon erfährt, spricht er sofort die fristlose Kündigung aus.
    Der Marburger Niederlassungsleiter Hermann von Salza teilt der Hotline in die USA mit, daß der Personalchef Konrad von Marburg die Angestellte Elisabeth von Thüringen ständig durch Schläge auf den Popo züchtigt. Weiter teilte er mit, daß deren Schwager Heinrich Raspe Drogen nimmt und während der Arbeitzeit regelmäßig Mutterkorn kifft.
    Auf Anforderung faxt er die Krankenakte von Heinrich Raspe nach New York. Darauf hin setzt Rockefeller den Deutschland-Chef Philipp von Schwaben in Bewegung, um Raspe zu kündigen.
    Betriebsrat Konradin widerspricht aber der Kündigung, da das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats mißachtet wurde. Nach Ansicht des Betriebsrats ist alles unwirksam. Ein Kündigungsrecht scheidet deshalb aus, weil die Ethik-Richtlinie ohne Zustimmung des Betriebsrats in Marburg bzw. des Gesamtbetriebsrats (Deutschland) von Rockefeller eingeführt wurde. Auch der Datenschutz sei wegen der Personalakte von Heinrich Raspe verletzt.
    Conny Rockefeller findet diesen europäischen Bedenkenzirkus einfach blöd und hinderlich.
     

Die Lösung

1. Schadensabwendungspflicht

    Jeder Mitarbeiter ist aufgrund seines Arbeitsvertrages und der daraus folgenden Nebenpflichten gehalten, vom Arbeitgeber, wie auch von allen Arbeitskollegen Schäden abzuwenden, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist. Eine Meldung oder Denunziation von Mitarbeitern im Sinne der Rockefeller-Ethik ist nicht erforderlich, um den Mitarbeiter entsprechend zu verpflichten. Ein Mitarbeiter, der seiner Schadensabwendungspflicht bzw. seiner Schadensminderungspflicht nicht genügt, wird im Zweifel dem Arbeitgeber oder den Arbeitskollegen schadenersatzpflichtig werden. In jedem Falle aber könnte die Vertragsverletzung eine Abmahnung oder gar eine Kündigung, je nach Schwere des Falles, nach sich ziehen.
    Die Schadensabwendungspflicht braucht nicht arbeitsvertraglich oder per Ethik-Richtlinie ausdrücklich vereinbart oder angeordnet sein. Sie ergibt sich aus der Natur des Arbeitsverhältnisses.

2. Whistleblowing

    Die Ethik-Richtlinie des Arbeitgebers Rockefeller mit ihrer Pflicht zur Denunziation von Arbeitskollegen geht über die vertragliche Schadensabwendungspflicht der Arbeitnehmer weit hinaus.
    Die sehr oft geforderte Verhaltenspflicht wird in den USA „Whistleblowing“ genannt, d.h. auf der Pfeife blasen. Auf deutsche übersetzt bedeutet dies „verpfeifen“. Die Anordnung eines solchen „Verpfeifens“ ist jedoch problematisch.

3. Mitteilung an Behörden

    Zur Durchsetzung von Ethik-Richtlinien werden im Ausland Mitarbeiter häufig verpflichtet, Verstöße bei Vorgesetzten oder anderen Stellen anzuzeigen. Mitarbeiter, die dies tun, werden regelmäßig vor arbeitsrechtlichen Maßnahmen geschützt. In den USA ist wegen des Fehlens vieler Arbeitnehmerschutzgesetze und mangelnder Gewerbeaufsicht ein solches Denunzieren vom Arbeitgeber oft gewünscht, um vorbeugend gegen Schadenersatzklagen Dritter oder sonstiger geschädigter Arbeitnehmer tätig werden zu können.
    In Europa jedoch unterliegen solche Denunziationsvorgänge einer anderen Wertung. Vor allem dann, wenn Behörden oder Dritte eingeschaltet werden, sieht das Bundesarbeitsgericht in einer solchen externen Anzeige oft einen Grund für eine verhaltensbedingte ordentliche oder gar für eine fristlose Kündigung an. Ein besonderer gesetzlicher Schutz von Denunzianten besteht in Deutschland nicht.
    Das Bundesarbeitsgericht nimmt eine Abwägung vor, indem es das Interesse des Arbeitgebers zur Vermeidung von behördlichen Maßnahmen einerseits und das Recht des Arbeitnehmers auf Schutz andererseits gegenüberstellt. Den Arbeitnehmer trifft dabei die Pflicht, im Bereich des Zumutbaren auf die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Der Arbeitgeber hat die berechtigte Erwartung, daß der Arbeitnehmer den erkannten tatsächlichen oder vermeintlichen Mißstand entweder selbst beseitigt oder diesen bei seinem Vorgesetzten oder an höhrer Stelle anzeigt, damit diese tätig werden.
    Das Bundesarbeitsgericht will den Arbeitgeber vor Mitarbeitern schützen, die ihn „fertigmachen“ wollen. Allerdings besteht ein Anzeigerecht in jedem Falle, wenn der Arbeitnehmer entweder
    – sich ohne Strafanzeige selbst einer möglichen Strafverfolgung aussetzt oder
    – wenn die angezeigte Straftat besonders schwerwiegend ist, z.B. Gefahr für Leib und Leben Dritter beinhaltet oder
    – wenn eine Aufklärung und Behebung von Seiten des Arbeitgebers und seines Führungspersonals nicht zu erwarten ist.
    Regelmäßig ist deshalb der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Zumutbarkeitsgrenzen gehalten, zunächst ein internes Verfahren einzuleiten, bevor er sich wegen Mißständen an externe Personen oder Behörden wendet.
    Dies gilt erst recht für die Einschaltung der Presse. Die Einschaltung der Presse oder der Medien ist nahezu immer ein schwerwiegender Arbeitsvertragsverstoß.
    Der verarmte Arbeitnehmer Jakob Fugger muß deshalb zumindest mit einer ordentlichen Kündigung rechnen, weil er versäumt hat, vor der Verständigung der Umweltpolizei zunächst die rechtswidrigen, umweltgefährdenden Gifteinleitungen in den Lech betriebsintern zu verhindern. Sollte er dies jedoch nachweislich vergeblich versucht haben, wäre er geschützt. Ebenso wäre er entschuldigt, wenn er nachweist, daß die Meldung an Vorgesetzte oder Arbeitgeber fruchtlos gewesen wäre, da diese selbst an der Umweltstraftat beteiligt waren oder diese duldeten. Dies gilt insbesondere, weil durch solche Umweltstraftaten schwerwiegende Gefahren für die Umwelt und die Volksgesundheit entstehen.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug