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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 250: Ethik-Regeln X – Erscheinungsbild und Religion

Der Fall

    Arbeitgeber Gotthilf Riö unterhält ein Konzertensemble. Sänger und Musikanten tragen beim Konzert eine wohlgefällige Einheitskleidung. Aus Gründen der „Corporate Identity“ ordnet Gotthilf Riö an, diese auch im privaten Bereich bei festlichen Gelegenheiten zu tragen. Arbeitnehmer Rudi Karacho findet diese Kleidung altbacken und geschmacklos. Er will sich nicht daran halten.
    Arbeitgeber Ibrahim Pascha ordnet für seine Süßwarenfabriken an, daß wegen der weltweiten Einheitlichkeit die männlichen Arbeitnehmer auch in Deutschland Vollbart und die Arbeitnehmerinnen ein Kopftuch tragen. Betriebsrat Paulus reklamiert eine Mitbestimmung.
    Arbeitgeber Willy Graham hat neben seiner Brotfabrik eine Kapelle gebaut. Er ordnet zur Persönlichkeits- und Gewissensbildung für die gesamte Belegschaft und 9 Uhr Morgengottesdienst und um 12 Uhr gemeinsames Hallelujah-Rufen an. Der Betriebsrat Thomas will das nicht dulden und opponiert.

Die Lösung

1. Arbeitskleidung

    Die Kleidung ist etwas sehr persönliches. Sie ziert oder entstellt nicht nur den Arbeitnehmer, sondern ist Ausdruck seines Geschmacks und seiner Persönlichkeit.
    Trotzdem kann der Arbeitgeber bei berechtigtem Interesse eine bestimmte Arbeitskleidung vom Arbeitnehmer im Betrieb fordern. Berechtigte sachliche Gründe können Sicherheitsvorschriften oder –anforderungen sein, z.B. für Sicherheitsschuhe, Sicherheitskleidung (Forstarbeiter), Helme, Handschuhe, Gehörschutz etc.
    Arbeitgeber Gotthilf hat ein berechtigtes Interesse an einem einheitlichen Auftreten seines Konzertensembles im Falle der Aufführung. So kommt der festliche und geschlossene Charakter des Ensembles weitaus besser zum Tragen, als bei individueller Kleidung.
    Arbeitnehmer Rudi Karacho muß als Sänger oder Fiedler im Aufführungsfalle diese Kleidung tragen. Sein persönlicher Geschmack ist nicht entscheidend. Allerdings wehrt sich Rudi zu Recht dagegen, die Kleidung auch im Privatbereich zu tragen. Im Arbeitsvertrag hat er sich nicht verpflichtet, auch privat die Zugehörigkeit zum Ensemble Gotthilf Riö zu demonstrieren. Freiwillig darf er das allerdings tun.

2. Mitbestimmung

    Soweit nicht Sicherheitsvorschriften bestehen, ist die Festlegung der Kleiderordnung zwingend mitbestimmungspflichtig. Arbeitgeber Gotthilf will mit der einheitlichen Kleidung das äußere Erscheinungsbild und das Image seines Ensembles verbessern. Die Kleiderordnung betrifft deshalb die Frage der Ordnung des Betriebes. Über Geschmack läßt sich streiten. Gotthilf Riö muß deshalb mit dem Betriebsrat über die Konzertkleidung verhandeln.
    Wenn Gesetzgeber oder Berufsgenossenschaft aber bestimmte Kleidung aus Sicherheitsgründen vorschreiben, hat der Arbeitgeber keinen Ermessensspielraum mehr. Insoweit entfällt dann auch die Mitbestimmung des Betriebsrats.

3. Bart und Kopftuch

    Auch wenn der Arbeitgeber Ibrahim Pascha ein Interesse an einem einheitlichen Erscheinungsbild seiner Mitarbeiter hat, so muß er im Rahmen der Güterabwägung jedoch das Persönlichkeitsrecht seiner Mitarbeiter berücksichtigen und wahren.
    Zum einen ist fraglich, ob die Tätigkeit von Süßwarenarbeitern innerhalb der Fabrik ein einheitliches Erscheinungsbild im Sinne von Corporate Identity erfordert. Im Zweifel gelangen keine fremden Menschen in das Fabrikgelände.
    Zum anderen aber handelt es sich in diesem Falle bei Bart und Kopftuch auch um religiöse Symbole mit einer bestimmten Botschaft und Aussagekraft. Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, vom Arbeitnehmer das Tragen politischer oder religiöser Symbole während der Arbeit zu verlangen. Eine Ausnahme gilt nur für sog. „Tendenzunternehmen“, z.B. für politische Parteien oder Mitarbeiter von Religionsgemeinschaften und Kirchen.
    Das Tragen einer bestimmten Bartzier greift außerdem tief in den individuellen Bereich des Mannes ein, da er sich mit dieser Zier gezwungenermaßen auch im Privatleben präsentieren muß.
    Die Anforderungen von Ibrahim Pascha greifen tief in das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter ein. Sie tangieren massiv die Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Damit verletzen die entsprechenden Anweisungen die verfassungsmäßige Ordnung und das geltende Sittengesetz in der Bundesrepublik. Die Anweisungen sind rechtsunwirksam.
    Aus diesem Grunde braucht Betriebsrat Paulus kein Mitbestimmungsrecht geltend machen. Unwirksame Regeln sind nicht mitbestimmungspflichtig. Paulus muß vielmehr auf Abhilfe dringen.

4. Gebet und Hallelujah-Ruf

    Arbeitgeber Willy Graham ist Recht darin zu geben, daß Religion und Religionsausübung im Einzelfall die Charakterbildung und Gewissensbildung fördern kann. Missionieren ist jedoch nicht Aufgabe des Arbeitgebers.
    Soweit der Arbeitgeber von Mitarbeitern während der Arbeitszeit die Ausübung religiöser Gebräuche fordert, verstößt er ebenfalls gegen zwingende Regeln des Persönlichkeitsrechts, gegen die Würde des Menschen und vor allem gegen die grundgesetzlich verbriefte Religionsfreiheit.
    Die Arbeitnehmer dürfen sich ohne betriebliche Sanktionen gegen Kollektivgebet und Hallelujah-Rufen wehren. Der ungläubige Betriebsrat Thomas hat kein Mitbestimmungsrecht für diese rechtswidrige Praxis. Vielmehr muß er auf Abhilfe drängen, um die Mitarbeiter vor ungerechtfertigten Übergriffen ihres Arbeitgebers zu schützen.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug