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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 243: Ethik-Regeln III – Mitbestimmung des Betriebsrats

Der Fall:

    Der amerikanische Großunternehmer Walter Marton will in seinen Unternehmen und Supermärkten weltweit Ethik-Richtlinien (Codes of Ethics) einführen. Alle Mitarbeiter erhalten per Rundschreiben den weltweit gültigen 28-seitigen Verhaltenscodex.
    Dieser „Code of Ethics“ enthält ein Verbot von sexuellen und anderen Belästigungen von Kunden und Kollegen, die Pflicht zu Alkohol- und Drogentests, zur Geheimhaltung von Betriebsgeheimnissen, zur Verantwortung gegenüber Kunden, Kollegen, Behörden, das Verbot der Annahme von Zuwendungen, ein Flirt- und Liebesverbot am Arbeitsplatz, ein Liebes- und Ausgehverbot mit Untergebenen oder Vorgesetzten im privaten Bereich, ein Verbot der privaten Internetnutzung. Außerdem beinhaltet das Papier die Pflicht aller Mitarbeiter zur Meldung sämtlicher Verstöße von Kollegen gegen die Ethik-Regeln über eine anonyme Hotline, an einen Vorgesetzten oder an das Ethik-Büro.
    Der orientalische Süßwarenhersteller Ibrahim Pascha will in seinen Süßwarenfabriken in Europa ebenso wie im Orient eine Kopftuchpflicht für Frauen sowie eine Bartpflicht für Männer einführen.
    Der christliche Unternehmer Willi Graham hat eine Kapelle neben seine Brotfabrik gebaut. Er fordert per Poster alle Mitarbeiter auf, dort um 9 Uhr am Morgengebet und um 12 Uhr am Halleluja-Rufen teilzunehmen.
    Die Arbeitnehmer Emmy Schneeweiß und Erwin Risotto fragen sich, ob diese Arbeitgeber das Recht haben, ihre ethischen und religiösen Vorstellungen am Arbeitsplatz durchzusetzen, Betriebsratsvorsitzender Rinaldo Kuttelwascher ist empört. Er macht ein Mitbestimmungsrecht geltend und meint, daß ohne Zustimmung des Betriebsrats gar nichts möglich sei.

Die Lösung

1. Grenzen der Mitbestimmung

    Ethik-, Moral- und Verhaltensregeln für Arbeitnehmer im Betrieb sind nicht zwangsläufig als Ganzes mitbestimmungspflichtig durch den Betriebsrat. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist im Betriebsverfassungsgesetz, für das Verhalten der Mitarbeiter insbesondere in § 87 BetrVG geregelt. Aus der gesetzlichen Regelung geht jedoch hervor, daß der Betriebsrat nicht für alle Verhaltensweisen von Arbeitnehmern ein Mitbestimmungsrecht besitzt. Es wäre auch nicht sinnvoll, da der Betriebsrat dann quasi gleichberechtigt an die Seite der Geschäftsleitung treten würde. Dies will der Gesetzgeber ausdrücklich nicht. Der Betriebsrat soll vielmehr die Geschäftsleitung kontrollieren und die berechtigten Belange der Mitarbeiter außerhalb der Erbringung der Arbeitsleistung wahrnehmen und soll jedoch nicht die Verantwortung für die Führung des Betriebes übernehmen.
    Es ist deshalb eine differenzierte Betrachtung von Ethik-Richtlinien erforderlich. Die einzelnen Regelungsbereiche und Richtlinien müssen abgegrenzt und jeweils für sich geprüft werden. Es ist dabei insbesondere zwischen dem Arbeitsverhalten, d.h. der Erbringung der Arbeitsleistung und dem Ordnungsverhalten zu unterscheiden.
    Damit hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, seine Ethik-Richtlinie in einen mitbestimmungsfreien und in einen mitbestimmungspflichtigen Teil zu gliedern.

2. Arbeitsverhalten

    Soweit in den Richtlinien die unmittelbare Erbringung der Arbeitsleistung geregelt wird, liegt kein Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats vor. Die Erbringung der Arbeitsleistung ist per Arbeitsvertrag geschuldet und unterliegt dem Weisungs- und Direktionsrecht des Arbeitgebers.
    Das Arbeitsverhalten und damit das Direktionsrecht des Arbeitgebers erstreckt sich auch auf gesetzlich bestehende oder auf systemimmanente Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag.
    Der Arbeitsvertrag ist naturgemäß pauschal und relativ abstrakt gehalten. Die Konkretisierung der arbeitsvertraglichen Pflichten muß im Einzelfall dem Arbeitgeber überlassen werden. Die Hauptleistungspflichten sind jedenfalls andeutungsweise im Arbeitsvertrag aufgenommen (z.B. Einstellung als kaufmännischer Angestellter, als Maschinenarbeiter, als Personalleiter oder als Kraftfahrer).
    Daraus folgen Nebenpflichten, die das Arbeitsverhalten bestimmen, z.B. die Pflicht, Schaden vom Eigentum des Arbeitgebers abzuwenden, das Verbot, Schmiergelder anzunehmen, korrekter Umgang mit Vorgesetzten, Untergebenen und Arbeitskollegen, das Verbot der Anwendung von Gewalt im Betrieb, das Verbot, beim Arbeitgeber oder Arbeitskollegen zu stehlen etc.
    Diese Nebenpflichten sind zunächst von Natur aus abstrakt, sie werden jedoch im Einzelfall vom Arbeitgeber, vom Vorgesetzten, vom Arbeitnehmer selbst konkretisiert.
    Soweit dieses Arbeitsverhalten alleine oder überwiegend betroffen ist, findet keine Mitbestimmung des Betriebsrats statt.

3. Ordnungsverhalten

    § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG gibt dem Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei der Regelung der „Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb“. Damit hat der Gesetzgeber bestimmt, daß alle Gestaltungen des Zusammenlebens und Zusammenwirkens der Arbeitnehmer im Betrieb mitbestimmungspflichtig sind.
    Soweit der Arbeitgeber nicht bestimmt, welche Arbeiten auszuführen sind und in welcher Weise diese geschehen soll, liegt ein Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer vor. Das dient dazu, das sonstige Verhalten der Arbeitnehmer zu koodinieren und die Ordnung im Betrieb aufrechtzuerhalten.
    Insoweit hat der Betriebsrat ein sehr weitgehendes Mitbestimmungsrecht. Gerade die Einführung von Ethik-Richtlinien berührt in vielfältiger Weise das Ordnungsverhalten von Arbeitnehmern.
    Das Ordnungsverhalten betrifft z.B. die Frage eines Rauchverbotes, des Alkoholverbotes, der Verhaltenskontrollen, die Frage des Zugangs zum Betrieb und der Zeitkontrollen, der Zeiterfassung, der Diebstahlskontrollen, der Anwesenheitskontrolle, Fragen von Namensschildern, einer bestimmten Arbeitskleidung, das Radiohören am Arbeitsplatz, die Einführung von Betriebskleidung, die Parkplatzordnung, die Regelung von Krankenbesuchen und vieles andere mehr.

4. Mischfälle

    Ethik-Richtlinien und Arbeitgebermaßnahmen können sich zugleich auf das Ordnungs- und das Arbeitsverhalten von Arbeitnehmern auswirken. Richtlinien, die z.B. das Verhalten der Arbeitnehmer gegenüber Kunden und Lieferanten regeln, betreffen einerseits die geschuldete Arbeitsleistung, andererseits ist aber auch in Bezug auf Benehmen, Freundlichkeit etc. das Ordnungsverhalten berührt. Dasselbe gilt für Richtlinien, die Regelungen treffen über die Annahme von Geschenken oder Vergünstigungen. Einerseits ist das Schmergeldverbot Inhalt des Arbeitsvertrages und damit Arbeitsverhalten. Andererseits betrifft die Genehmigung der Annahme von kleinen Geschenken, wie z.B. Kulis, Feuerzeugen etc. das Ordnungsverhalten.
    Für die Frage des Mitbestimmungsrechts muß hier stets geprüft werden, welcher Regelungszweck überwiegt:
    Beispiel 1: Die Aufforderung zu freundlichem Verhalten gegenüber Kunden betrifft überwiegend den Arbeitszweck und damit das Arbeitsverhalten.
    Beispiel 2: Die Regelung, Geschenke nur bis zum Wert von 7 Euro annehmen zu dürfen, betrifft überwiegend nicht die Arbeitspflicht, sondern das Ordnungsverhalten des Arbeitnehmers. Die Regelung ist damit mitbestimmungspflichtig.

5. Gesetzliche Regelung

    Ein Mitbestimmungsrecht existiert nicht, soweit eine Ethik-Richtlinie trifft, die ohnehin bereits gesetzlich bestehen. Soweit nur das Gesetz wiederholt wird, schließt der Gesetzgeber ein Mitbestimmungsrecht aus, da kein Ermessens- und Regelungsspielraum des Arbeitgebers besteht.

6. Ausländisches Recht

    Dieser Vorbehalt der gesetzlichen Regelung und damit der Ausschluß der Mitbestimmung gilt jedoch nur für das geltende deutsche Recht! Im Falle der amerikanischen Konzerne kann das Mitbestimmungsrecht des deutschen Betriebsrats nicht mit dem Argument ausgeschlossen werden, daß die amerikanische Tochtergesellschaft nach US-amerikanischem Recht zu dieser Richtlinie verpflichtet sei.
    Nach ständiger Rechtsprechung gilt für die Mitbestimmung das Territorialitätsprinzip. Unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Arbeitgebers oder des Mutterkonzerns gilt für sämtliche Betriebe in Deutschland das Betriebsverfassungsgesetz.
    Keine Rolle spielt es, daß die deutsche Tochtergesellschaft nach amerikanischem Recht gegenüber der Muttergesellschaft verpflichtet ist, eine entsprechende Ethik-Richtlinie einzuführen. Ausländisches Recht kann nicht das Grundgesetz oder deutsche Gesetze, z.B. das Betriebsverfassungsgesetz, außer Kraft setzen.

7. Unterlassungsanspruch

    Bei Verstoß des Arbeitgebers gegen das zwingende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG (Ordnung des Betriebes) besitzt der Betriebsrat einen allgemeinen Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber. Dies bedeutet, daß die mitbestimmungswidrig eingeführte Ethik-Richtlinie wegen Gesetzesverstoßes rechtsunwirksam ist.
    Der Betriebsrat kann die sofortige Beseitigung der Richtlinie verlangen. Sofern der Arbeitgeber die Ethik-Richtlinie per Poster oder Aushänge am Schwarzen Brett bekanntmacht, kann er verlangen, diese Bekanntmachung zu entfernen. Der Arbeitgeber kann die Richtlinie nicht gegenüber den Arbeitnehmern durchsetzen. Ein Verstoß der Arbeitnehmer gegen die Richtlinie würde weder eine Abmahnung noch eine Kündigung rechtfertigen.
     

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug