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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 232: Neue Sperrzeitprobleme IV

Der Fall:

    Kammerherr Theseus arbeitet beim geldgierigen König Midas, der teilweise die Löhne nur mit monatelanger Verspätung auszahlt.
    Die Textilarbeiterin Ariadne ist bei dem Spinnereiunternehmer Minotaurus beschäftigt. Wegen schlechter Auftragslage bekommt Minotaurus regelmäßig Tobsuchtsanfälle und beschimpft die Arbeitnehmer.
    Die Bedienung Aphrodite arbeitet beim Gastwirt Bacchus. Dieser verfolgt ihre weiblichen Reize leider nicht nur mit Augen.
    Eurydike arbeitet als Animateurin beim Thermenbetreiber Poseidon. Eurydike behauptet, von Poseidon ständig gemobbt zu werden.
    Können diese Arbeitnehmer es wagen, das Arbeitsverhältnis selbst zu kündigen oder per Aufhebungsvertrag zu beenden, ohne eine Sperrfrist zu bekommen?

Die Lösung:

1. Eigenkündigung

    Ein Arbeitnehmer, der eine Eigenkündigung ausspricht, hat ebenso die Arbeitslosigkeit im Sinne des § 144 Abs. 1 SGB III herbeigeführt, wie ein Arbeitnehmer, der einen einvernehmlichen Auflösungsvertrag abschließt.
    Generell müssen solche Arbeitnehmer deshalb mit einer Sperrfrist von 12 Wochen beim Arbeitslosengeld rechnen.

2. Ausnahme: Wichtiger Grund

    Der Gesetzgeber hat bestimmt, daß die Sperrzeit nicht verhängt werden darf, wenn der Arbeitnehmer für sein Verhalten, z.B. die Eigenkündigung, einen wichtigen Grund hat. Dann tritt die Sperrzeit nicht ein. Der Arbeitnehmer muß jedoch alle für die Beurteilung des wichtigen Grundes maßgeblichen Tatsachen darlegen und auch nachweisen! Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Gründe und Tatsachen in seiner Sphäre oder in seinem Verantwortungsbereich liegen.

3. Was ist wichtiger Grund?

    Ein wichtiger Grund gegen die Verhängung einer Sperrzeit durch die Arbeitsagentur ist stets dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer wegen gravierender Vertragsverletzungen durch den Arbeitgeber Anlaß für eine außerordentliche fristlose Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB hat.
    Danach müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist.
    Im Einzelfall kann dies schwierig zu bestimmen sein. Die Rechtsprechung hat anerkannt, daß erhebliche Lohnrückstände über längere Zeiträume (mehr als 2 Monate), wie bei Kammerherr Theseus ein wichtiger Grund sein kann.
    Auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber kann - wie im Fall Aphrodite - ein Grund für eine fristlose Kündigung der Arbeitnehmerin sein.
    Dies kann auch für die Fälle von Beschimpfungen durch Minotaurus oder Mobbing durch Poseidon der Fall sein. Es muß allerdings abgewogen werden, wie stark die Beeinträchtigungen sind, was unter Mobbing oder Beschimpfung fällt. Ggf. muß auch der Arbeitnehmer zunächst das Gespräch suchen oder den Arbeitgeber abmahnen.
    Achtung: Nicht jede Fehlverhaltensweise des Arbeitgebers ist ein Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers. Dementsprechend kann die Verhängung einer Sperrzeit in diesen Fällen nicht immer ausgeschlossen werden.

4. Beweislast

    Bestreitet der Arbeitgeber seine Fehlverhaltensweisen gegenüber der Arbeitsagentur, so muß der Arbeitnehmer Beweis antreten. Dies kann im Einzelfall sehr schwierig sein. Das muß sich vor allem die gemobbte Eurydike, die beschimpfte Ariadne und die belästigte Aphrodite klarmachen. Es ist wichtig, daß rechtzeitig Beweise gesammelt und sichergestellt werden!

5. Ratschlag

    In solchen Fällen ist den Arbeitnehmern zur Vermeidung einer Sperrzeit generell zu raten, sich vor Ausspruch einer Eigenkündigung oder vor Abschluß eines Auflösungsvertrages zunächst mit der zuständigen Arbeitsagentur in Verbindung zu setzen und die Sachlage abzuklären. Gibt diese eine verbindliche Zusage, so kann die Arbeitnehmerin gehen.

6. Fazit

    – Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Unterscheidung zwischen Aufhebungs- und Abfindungsvertrag nur „erfunden“ worden, um eine Sperrzeit zu umgehen. Deshalb kann der Arbeitnehmer nur in Ausnahmefällen damit rechnen, keine Sperrzeit zu bekommen, wenn er solche Verträge abschließt.
    – Nur Abwicklungsverträge nach Ablauf der Klagefrist für die Kündigungsschutzklage bieten die Gewähr, keine Sperrzeit zu bekommen, wenn lediglich noch Einzelheiten geregelt und abgewickelt werden, wie z.B. eine Abfindung, ein Zeugnis, die Arbeitspapiere.
    – Die Abfindungsregelung nach § 1 a KSchG ist von einer Sperrzeitregelung nicht erfaßt. Der Gesetzgeber und der Arbeitnehmer müssen sich allerdings nach den gesetzlichen Vorschriften richten.
    – Arbeitsgerichtliche Abwicklungsvergleiche mindern das Sperrzeitrisiko. Allerdings ist die Arbeitsagentur an Prozeßvergleiche nicht zwingend gebunden, ebenso wenig wie an arbeitsgerichtliche Urteile.
    – Im Falle eines Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrages ist dem Arbeitgeber dringend zu raten, den Arbeitnehmer im Vertrag auf das Sperrzeitrisiko hinzuweisen.
    – Das Sperrzeitrisiko minimiert sich oder entfällt, wenn der Arbeitnehmer schnell eine neue Arbeitsstelle gefunden hat.
     

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug