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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 179: Ein-Euro-Job II

Der Fall:

    Gottfried von Bouillon lungert nach dem Abschluß des Kreuzzuges und seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land seit Jahren arbeitslos herum. Er will wenigstens einen Ein-Euro-Job ausüben. Trotz seiner Vorstöße bleibt die Arbeitsagentur untätig. Hat er einen Anspruch?
    Oskar von Wolkenstein will Gottfried für eine Arbeitsgelegenheit einstellen. Er plant, seine mittelalterlichen Liederhandschriften von Gottfried zu digitalisieren und ins Internet stellen zu lassen.
    August dem Starken sind die Gelder für den Wiederaufbau der Frauenkirche ausgegangen. Er kommt auf die Ideen, Ein-Euro-Jobber bei der Arbeitsagentur anzufordern.
    In beiden Fällen verweigert die Arbeitsagentur die Vermittlung.
    Junker Jörg und Emir Saladin fragen bei der Arbeitsagentur nach, mit wem sie wegen der Arbeitsgelegenheiten eine Vereinbarung abschließen können.

Die Lösung

1. Recht auf Arbeitsgelegenheit?

    Der Gesetzgeber hat in § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II bestimmt, daß für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die keine Arbeit finden können, so wie Gottfried von Bouillon, Arbeitslegenheiten geschaffen werden „sollen“. Dieses Sollen bedeutet eine Verpflichtung der Leistungsträger, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um solche Arbeitsgelegenheiten zu schaffen und anbieten zu können.
    Ungeklärt ist noch, inwieweit Bewerber einen einklagbaren und durchsetzbaren Anspruch auf einen Ein-Euro-Job besitzen. Jedenfalls muß der Leistungsträger wie die Arbeitsagentur oder das Job-Center alles in ihren Möglichkeiten stehende tun, um Arbeitsgelegenheiten bei Dritten/Dienstherren zu finden. Es wäre eine grobe Pflichtverletzung, wenn die Arbeitsagentur im Falle von Gottfried mehr oder weniger untätig bleibt.
    Gottfried kann also auf eine Verpflichtung des Leistungsträgers verweisen und Druck machen. Ein einklagbarer Anspruch aber ist fraglich.

2. Zusätzliche Arbeit

    § 16 Abs. 3 SGB II fordert für die Schaffung von Arbeitsgelegenheiten (Ein-Euro-Jobs), daß in diesem Bereich der Förderung nur zusätzliche Arbeiten verrichtet werden. Außerdem dürfen diese nicht bereits durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefördert worden sein.
    Was „zusätzliche Arbeit“ ist, definiert das SGB II nicht. Allerdings verweist § 16 Abs. 1 SGB II für alle Leistungen zur Eingliederung auch auf die Regelung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im SGB III. Dort ist in § 261 Abs. 2 SGB III gesetzlich definiert, daß Arbeiten dann zusätzlich sind, wenn sie ohne die Förderung nicht, nicht in diesem Umfange oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden. Arbeiten, die aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung durchzuführen sind, oder durch die öffentliche Hand üblicherweise durchgeführt werden, sind nur förderungsfähig, wenn sie ohne die Förderung voraussichtlich erst später als 2 Jahre durchgeführt würden.
    Der Gesetzgeber wollte damit die Schaffung von Ein-Euro-Jobs beschränken, um zu verhindern, daß Tätigkeiten des ersten Arbeitsmarktes durch Arbeitsgelegenheiten verdrängt werden. Der Unternehmer, der Ein-Euro-Jobler beschäftigen will, muß deshalb klar nachweisen, daß die Tätigkeiten ohne diese Förderung überhaupt nicht oder jedenfalls erst Jahre später durchgeführt würden.
    Oskar von Wolkenstein muß deshalb nachweisen, daß seine Liederhandschriften ohne den Ein-Euro-Jobler nie oder erst in Jahren digitalisiert würden. August der Starke bekommt keine Genehmigung, da er die Frauenkirche als reguläre Maßnahme ohnehin aufbauen will. Die Ein-Euro-Jobler würden reguläre Bauarbeiter verdrängen. Das ist nicht gewollt.

3. Öffentliches Interesse

    Für die Schaffung von Arbeitsgelegenheiten ist außerdem ein öffentliches Interesse an den zusätzlichen Arbeiten vom Gesetz gefordert. Auch dieses öffentliche Interesse ist nicht im SGB II, sondern wiederum in § 261 Abs. 3 SGB III definiert. Danach liegen Arbeiten im öffentlichen Interesse, wenn das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dient. Arbeiten, deren Ergebnis überwiegend erwerbswirtschaftlichen Interessen oder den Interessen eines begrenzten Personenkreises dienen, liegen nicht im öffentlichen Interesse. Es muß außerdem sicherstellt sein, daß die Arbeiten nicht zu einer Bereicherung einzelner führen.
    Der Wiederaufbau der Frauenkirche dienst zwar dem öffentlichen Interesse, ist aber nicht förderungswürdig, weil es keine zusätzliche Arbeit zu den ohnehin vorhandenen Plänen ist. Die Digitalisierung der mittelalterlichen Liedhandschrift liegt im öffentlichen Interesse, da hiermit die Mittelalterforschung weltweit erleichtert wird. Oskar von Wolkenstein hätte als abgebrannter Minnesänger auf dem normalen Arbeitsmarkt die Digitalisierung nicht bezahlen können. Sein Projekt ist als zusätzliche Arbeit im öffentlichen Interesse deshalb förderungswürdig.
     

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug