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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 177: Zumutbare Arbeit und Absenkung / Wegfall des ALG II

Der Fall

    Der langzeitarbeitslose Kunstmaler Emil Nolde wird von der Arbeitsagentur als Anstreichergeselle vermittelt. Er weigert sich zu arbeiten.
    Der Vegetarier und Pianist Chopin soll nach dem Willen der Arbeitsverwaltung zukünftig als Kopfschlächter im Schlachthof Magdeburg arbeiten. Chopin weint vor Entsetzen.
    Die versierte Arbeitsverwaltung in Stuttgart verschafft dem arbeitslosen Schwaben Häberle einen Posten als Industriemeister in Hannover. Der Posten wäre gut. Doch Häberle weigert sich, den Weißwurst-Äquator zu überqueren. In allen Fällen will die Arbeitsverwaltung das Arbeitslosengeld II spürbar kürzen oder gar einstellen. Sind die Verweigerungen begründet erfolgt?

Die Lösung

1. Neue Zumutbarkeitsregeln

    Wer Hilfe vom Steuerzahler erhält, muß nach dem Willen des Gesetzgebers alles tun, um möglichst schnell wieder unabhängig von der staatlichen Unterstützung leben zu können. Der Gesetzgeber hat deshalb bei Arbeitslosengeld II-Empfänger und Langzeitarbeitslosen grundsätzlich jede Arbeit für zumutbar gehalten. Die neuen Zumutbarkeitskriterien haben politisch eine große Diskussion ausgelöst. Gleichwohl ist in § 10 SGB II (Hartz IV) ein weiter Zumutbarkeitsmaßstab für Langzeitarbeitslose festgelegt worden.
    Der Gesetzgeber hat damit dem Arbeitslosen die Pflicht auferlegt, alles zu tun, um wieder in Arbeit zu kommen. Dabei verlangt er vom Arbeitslosen auch die Hinnahme von Unbequemlichkeiten und eine weitgehend Opferbereitschaft. Der Gesetzgeber hat deshalb ausdrücklich formuliert, daß dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
    jede Arbeit zumutbar ist. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn
    – er zu einer bestimmten Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage ist,
    – die Ausübung der Arbeit ihm die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Tätigkeit wesentlich erschweren würde, weil die bisherige Tätigkeit besondere körperliche Anforderungen stellt,
    – die Ausübung der Arbeit die Erziehung seines Kindes oder des Kindes seines Partners gefährden würde. Diese Vorschrift betrifft insbesondere auch die Alleinerziehenden. Deshalb hat der Gesetzgeber weiter bestimmt, daß die Erziehung eines Kindes, das das 3. Lebensjahr vollendet hat, in der Regel nicht gefährdet ist, soweit seine Betreuung in einer Tageseinrichtung oder Tagespflege sichergestellt ist. Die Agentur für Arbeit soll auf den örtlichen Träger der Sozialhilfe hinwirken, diesen Erziehenden vorrangig einen Platz zur Tagesbetreuung des Kindes anzubieten.
    – die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit kann weiter unzumutbar sein, wenn sie mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar wäre und die Pflege auf andere Weise nicht sichergestellt werden kann oder
    – der Ausübung der Arbeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht.
    Der Vegetarier Chopin kann der Tätigkeit des Kopfschlächters entgegenhalten, daß er als Vegetarier seelisch nicht in der Lage ist, eine solche Arbeit gegen seine körperliche und geistige Grundeinstellung auszuüben. Außerdem kann Chopin als Pianist anführen, daß die körperlich sehr schwere Tätigkeit des Kopfschlächters seine weitere Tätigkeit als Pianist erheblich gefährdet, weil seine zarten Finger dadurch schlimm beeinträchtigt würden.
    Der Gesetzgeber wollte bei der Definition der Unzumutbarkeit insbesondere den erziehenden und den pflegenden Arbeitnehmern entgegenkommen, sonst aber nur im Extremfall Ausnahmen zulassen.

2. Verschärfung der Unzumutbarkeitsregel

    Nach § 10 Abs. 2 SGB II sind Arbeiten insbesondere nicht allein deshalb unzumutbar, weil
    – sie nicht einer früheren beruflichen Tätigkeit des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen entspricht, für die er ausgebildet ist oder die er ausgeübt hat,
    – sie im Hinblick auf die Ausbildung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen als geringwertig anzusehen ist,
    – der Beschäftigungsort vom Wohnort des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen weiter entfernt ist, als sein früherer Beschäftigungs- oder Ausbildungsort,
    – die Arbeitsbedingungen ungünstiger sind, als bei den bisherigen Beschäftigungen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen.
    Der Kunstmaler Emil Nolde kann die neue Arbeit des Anstreichers nicht verweigern mit der Begründung, daß diese wesentlich geringwertiger ist, als seine Kunstmalertätigkeit. Der Schwabe Häberle muß nach Hannover gehen. Der Weißwurst-Äquator ist kein Argument, um die neue Arbeit abzulehnen. Auch schlechtere Vergütungsbedingungen sind kein Grund zur Ablehnung.
    Mit den neuen Zumutbarkeitsregeln für Hilfebedürftige hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, daß er hohe Anforderungen an den Wiedereingliederungswillen der Arbeitslosen, insbesondere der Langzeitarbeitslosen stellt.

3. Absenkung oder Wegfall des ALG II

    Nach § 31 SGB II wird das Arbeitslosengeld II für 3 Monate um 30 % gesenkt, wenn der Arbeitslose sich trotz Belehrung weigert, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit aufzunehmen oder durchzuführen. Das gleiche gilt, wenn der Hilfebedürftige eine zumutbare Eingliederungsmaßnahme abgebrochen hat oder Anlaß für einen Abbruch gegeben hat. In diesen Fällen entfällt auch der befristete Zuschuß zum Lebensunterhalt.
    Das Arbeitslosengeld wird auch gekürzt, wenn der Hilfebedürftige der Aufforderung zur Meldung oder zur ärztlichen Untersuchung nicht Folge leistet.
    Bei Jugendlichen unter 25 Jahren, die eine zumutbare Arbeit oder Ausbildung ablehnen, entfällt für 3 Monate die entgeltliche Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts zur Gänze. Nur die Leistungen für Unterkunft und Heizung bleiben bestehen. Auch Bezieher von Sozialgeld müssen bei bestimmten Verstößen Kürzungen hinnehmen.
     

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug