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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 221: Gewerbeordnung V

Der Fall

    Arbeitgeber Schiller will dem scheidenden Arbeitnehmer Goethe kein Zeugnis ausstellen. Goethe war so schlecht, daß Schiller sich schämt, dies alles niederzuschreiben. Gleichwohl fordert Goethe ein wohlwollendes und gutes Zeugnis, um sich zukünftig anderweitig zu bewerben.
    Schiller meint, daß das Zeugnis zumindest wahr sein müsse. Andernfalls setze er sich Schadenersatzansprüchen weiterer Arbeitgeber aus. Er fragt, ob denn tatsächlich ein Zeugnisanspruch besteht.

Die Lösung

1. Gesetzlicher Zeugnisanspruch

    Nachdem in der Vergangenheit gesetzliche Zeugnisansprüche sowohl im Bürgerlichen Gesetzbuch sowie im Handelsgesetzbuch und in der Gewerbeordnung verankert waren, z.T. für Arbeiter aber gar kein gesetzlicher, sondern allenfalls ein vertraglicher oder tariflicher Anspruch bestand, hat nunmehr der Gesetzgeber in § 109 Gewerbeordnung den Zeugnisanspruch für alle Arbeitnehmer als Spezialnorm einheitlich geregelt. Die Regelung des § 630 BGB gilt somit nur noch für Freie Mitarbeiter, arbeitnehmerähnliche Personen und Dienstverhältnisse allgemeiner Art.
    Nach dieser gesetzlichen Regelung haben alle Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis.
    In § 109 Abs. 3 GewO ist die Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form ausgeschlossen. Das Zeugnis muß schriftlich erstellt sein mit der Unterschrift des Arbeitgebers oder seines zuständigen Vertreters im Betrieb, z.B. des Personalleiters. Die Unterschrift muß eigenhändig gefertigt sein. Eine Kopie oder Faksimileunterschrift reicht nicht aus.

2. Einfaches Zeugnis

    Nach der Definition des Gesetzes muß das Zeugnis mindestens Angaben zur Art und Dauer der Tätigkeit enthalten. Dieses einfache Zeugnis ist faktisch ein Arbeitsnachweis. Dieser Arbeitsnachweis enthält jedoch keine Angaben zur Leistung und zu weiteren Dingen im Arbeitsverhältnis. Es ist in der Regel nur bei kurzfristigen Arbeitsverhältnissen oder bei ganz einfachen Arbeitsverhältnissen üblich und zu empfehlen.

3. Qualifiziertes Zeugnis

    Der Arbeitnehmer kann nach § 109 Abs. 1 GewO verlangen, daß sich die Angaben im Zeugnis darüber hinaus neben Art und Dauer der Tätigkeit auch auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstrecken. Dies wird als „qualifiziertes Zeugnis“ im Gesetz bezeichnet.
    Das qualifiziertes Zeugnis soll ein getreues Spiegelbild aller vom Arbeitnehmer erbrachten Tätigkeiten und Verhaltensweisen sein. Es muß i.d.R. eine Tätigkeitsbeschreibung enthalten. Die Leistung kann durch verschiedene Kriterien, wie Fachkenntnis, Arbeitsbereitschaft, Arbeitsinitiative, Arbeitsqualität und Fleiß erfaßt werden.
    Das Verhalten erstreckt sich vor allem auf das Sozialverhalten gegenüber vorgesetzten Kollegen und Untergebenen.
    Das qualifizierte Zeugnis enthält auch eine Beurteilung der Leistung und des Verhaltens. Dies ist eine Gesamtnote am Schluß des Zeugnisses. Vor allem diese Benotung im Rahmen der „Zufriedenheits-Formulierungen“ führt zu viel Streit. Es ist zu empfehlen, auf andere, nicht so abgegriffene Formulierungen auszuweichen, die ein besseres Bild vom Arbeitnehmer geben.

4. Zwischenzeugnis

    Das Zwischenzeugnis ist im Gesetz nicht geregelt. Ein gesetzlicher Anspruch besteht insoweit nicht. Nach der Rechtsprechung besteht jedoch ein vertraglicher Anspruch dann, wenn der Arbeitnehmer seine Stelle wechseln will, wenn maßgebliche Vorgesetzte weggehen oder der Arbeitnehmer versetzt wird oder andere berechtigte Belange bestehen.

5. Wahrheit / Verständlichkeit

    Nach § 109 Abs. 2 GewO muß das Zeugnis klar und verständlich formuliert sein. Es dürfen keine Merkmale oder Formulierungen enthalten sein, die den Zweck haben, eine andere Aussage zu treffen, als aus der äußeren Form oder dem Wortlaut ersichtlich ist.
    Der Gesetzgeber hat mit dieser Formulierung zunächst verboten, daß in Zeugnissen eine Geheimsprache oder geheime Merkmale verwandt werden, die den Arbeitnehmer über den wirklichen Inhalt des Zeugnisses täuschen sollen.
    Es gibt eine Vielzahl von Publikationen, die behaupten, daß in Zeugnissen solche Geheimsprachen benutzt werden. Im allgemeinen sind die „Verschwörungstheorien“ nicht begründet. Es gibt allgemein-negative Formulierungen, die so stark in Gebrauch sind, daß sie ein normal verständiger Mensch auch als negative Äußerung erkennt.
    Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, daß z.B. innerhalb eines Konzerns oder einer eng verbundenen Gewerbegruppe es durchaus möglich ist, daß solche verdeckten Formulierungen, eine Art Geheimsprache, gewählt ist. Der Gesetzgeber hat dies aber ausdrücklich verboten.
    Darüber hinaus verlangt der Gesetzgeber eine klare und verständliche Formulierung und Zeugnissprache. Was darunter im einzelnen zu verstehen ist, kann sehr streitig sein. Diese Streitigkeiten werden oft vor Arbeitsgerichten ausgetragen. Jedenfalls aber wollte der Gesetzgeber keine Verschlüsselung und keine inhaltsleeren, hochtrabenden Formulierungen.

6. Allgemeine Zeugnisgrundsätze

    Nach der Rechtsprechung gibt es 4 allgemeine Zeugnisgrundsätze, an den Zeugnisse zu orientieren sind, nämlich
    – der Grundsatz der Wahrheit,
    – der Grundsatz des Wohlwollens,
    – der Grundsatz der Vollständigkeit und
    – der Grundsatz der individuellen Beurteilung.
    Der Gesetzgeber hat die von der Rechtsprechung geforderte wohlwollende und zugleich wahrheitsgemäße Abfassung des Zeugnisses nicht im Gesetz aufgenommen. Es bleibt ein Rätsel, warum dies nicht geschehen ist. Diese Grundsätze gelten jedoch nach ständiger Rechtsprechung auch weiterhin.
    Deshalb hat Arbeitgeber Schiller recht, daß er den miserablen Arbeitnehmer Goethe nicht ein Glanzzeugnis geben kann. Andernfalls müßte er mit Schadenersatzansprüchen anderer Arbeitgeber rechnen.
    Die Grundsätze von Wohlwollen und Wahrheit widersprechen sich. Ein wahres Zeugnis wird oft nicht wohlwollend sein und umgekehrt. Die Kunst des Zeugnisschreibens besteht deshalb insbesondere darin, neben einer klaren und verständlichen Sprache bestimmte Dinge wegzulassen, ohne daß der Wahrheitsgehalt erheblich darunter leidet.

7. Ausstellungsdatum

    Auch das Ausstellungsdatum unterliegt der Wahrheitspflicht. Aus diesem Grunde ist generell eine Rückdatierung des Ausstellungszeitpunktes problematisch. Das Zeugnisdatum richtet sich nach dem Zeugnis der Antragstellung. Hat der Arbeitgeber später das Zeugnis auf Verlangen des Arbeitnehmers geändert oder berichtigt, so muß dieses ursprüngliche Zeugnis im neu formulierten Zeugnis wieder verwandt werden.

8. Schlußformel

    In der Schlußformel hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, auf den scheidenden Arbeitnehmer individuell einzugehen und seine Wertschätzung in besonderer Weise auszudrücken.
    Nach allgemeiner Rechtsprechung hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf eine bestimmte Schlußformulierung. Aus diesem Grunde sind diese Formulierungen für einen neuen Arbeitgeber besonders interessant und vom Arbeitnehmer in besonderer Weise erwünscht.
    Dabei handelt es sich z.B. um das besondere Bedauern über das Ausscheiden des Arbeitnehmers, besonderen Dank oder den Erwerb von besonderen Verdiensten um die Firma.
     

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug