Hans-Gottlob-Ruehle.de
Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 76: Grundsätze der Abmahnung / Zugangsproblematik

Es ist sehr oft unklar, bei welchen Vorfällen überhaupt eine Abmahnung erteilt werden darf, wann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt ist. Auch der Zugang einer Abmahnung kann sehr problematisch sein, wenn dem Abgemahnten die Abmahnung nicht persönlich übergeben wurde.

Der Fall:

Arbeitgeber August der Starke möchte am liebsten jede Kleinigkeit abgemahnt wissen, um vor dem Arbeitsgericht sicher zu gehen. Ist dies ratsam? Personalchef Flemming zweifelt dies an.
Als August seine Mätresse Constanzia von Cosel abmahnen muß, ist ihm dies peinlich. Er bittet seinen Personalchef, die Abmahnung ganz allgemein zu halten. Es soll nur das “vertragswidrige Verhalten” gerügt werden. Nur so sei sichergestellt, daß nicht der ganze Hofstaat über alle Einzelheiten informiert ist. Auch hier hat Flemming Bedenken.
Da Constanzia von Cosel vom Hof verbannt ist und auf Schloß Pillnitz wohnt, will August der Starke ihr die Abmahnung per Post schicken. Flemming wendet ein, daß die Postwege immer gefährlich seien. Es sei besser, die Abmahnung durch die Hofdame Aurora von Königsmarck überbringen zu lassen. Allerdings müsse sie das Abmahnungsschreiben vorher lesen, um zu wissen, was sie überbringt. Dem Arbeitgeber August ist aber auch das nicht recht. Was tun?

Die Lösung

1. Abmahnungsgrund

Der Arbeitgeber kann generell alle Fehlverhaltensweisen des Arbeitnehmers abmahnen, mit denen der Arbeitnehmer gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, gegen Betriebsvereinbarungen, gegen Gesetze oder andere Rechtsvorschriften im Bereich des Arbeitsverhältnisses verstößt.
Es kann sich dabei auch um kleinere Vertragsverletzungen handeln. Die Abmahnung ist – entgegen landläufiger Ansicht – nicht auf grobe Rechtsverstöße begrenzt. Allerdings sollte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht aus dem Auge verloren werden.
Beispiel: Der Arbeitgeber kann die Verspätung eines Arbeitnehmers rügen, da eine Vertragspflichtverletzung vorliegt. Rügt er jedoch eine einmalige Verspätung von 5 Minuten nach 10 Jahren pünktlichem Arbeitsbeginn, so wäre im Zweifel diese Abmahnung unverhältnismäßig.
2. Richtigkeit und Wahrheit
Für die Zulässigkeit einer Abmahnung sind die Grundsätze der Wahrheit und Richtigkeit von entscheidender Bedeutung. In einer Abmahnung muß ein bestimmtes Fehlverhalten dargelegt werden. Die dort geschilderten Sachverhalte und Tatsachen müssen richtig sein. Sofern in einer Schilderung auch nur einzelne, nicht völlig unerhebliche Tatsachen falsch sind, muß die ganze Abmahnung zurückgenommen und ggf. neu ausgesprochen werden.

3. Keine Floskeln

Weiterhin ist für die Abmahnung der Grundsatz der Klarheit und der Bestimmbarkeit von entscheidender Bedeutung. Eine Abmahnung muß die zu beanstandenden Vorfälle oder die Vertragsverletzungen genau bezeichnen.
Der Arbeitnehmer muß nämlich wissen, was ihm im einzelnen vorgehalten wird. Wenn die Abmahnung nicht klar ist, wäre die Hinweis- und Warnfunktion der Abmahnung nicht gegeben. Aus diesem Grunde muß die Abmahnung mindestens so klar sein, daß der Arbeitnehmer und die am Vorfall Beteiligten der Abmahnung entnehmen können, welche Beanstandungen von Seiten des Arbeitgebers gemacht werden.
Folgende Floskeln reichen nicht aus:
– Ihr erneutes vertragswidriges Verhalten,
– der erneute Verstoß gegen Ihren Arbeitsvertrag hat ...,
– Ihre Schlechtleistungen im Außendienst ...,
– Sie haben durch Ihr Verhalten den Betriebsfrieden grundlegend gestört,
– Ihre Leistungen haben so rapide nachgelassen, daß ...,
– die von Ihnen ausgehenden Belästigungen betreffen sowohl Kunden wie Mitarbeiter.

4. Abmahnungsinflation

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit muß berücksichtigt werden, daß es nicht sinnvoll ist, den Arbeitnehmer wegen jeder Kleinigkeit und jeder Vertragsverletzung gleich abzumahnen. Es ist insbesondere nicht sinnvoll, den Arbeitnehmern wegen jeder Kleinigkeit mit einer Kündigung oder gar fristlosen Kündigung zu drohen. Abmahnungen müssen gezielt eingesetzt werden, nicht inflationär.
Hätte Personalchef Graf Flemming zu viele Abmahnungen gegenüber einem bestimmten Arbeitnehmer ausgesprochen, so dürfte dieser davon ausgehen, daß die Kündigungsandrohungen letztendlich von Flemming nicht ernst gemeint sind. Die Abmahnung verliert ihre Warnfunktion und damit ihre Rechtswirksamkeit.

5. Zugang

Die Abmahnung ist zwar keine Willenserklärung, sondern lediglich eine geschäftsähnliche Handlung. Gleichwohl muß eine Abmahnung für ihre Wirksamkeit dem Arbeitnehmer in der verkehrsüblichen Weise zugegangen sein.
Dies ist kein Problem, wenn die Abmahnung dem Arbeitnehmer z.B. im Betrieb oder in der Personalabteilung direkt übergeben worden ist. Wichtig ist, daß dann für die Übergabe der Abmahnung eine Quittung erstellt wird oder ein Zeuge vorhanden ist.
Soll die Abmahnung dem Arbeitnehmer an einem anderen Ort, z.B. an seinem Wohnort übergeben werden, so muß entsprechende Vorkehrung getroffen werden, daß die Abmahnung den Arbeitnehmer auch tatsächlich erreicht. Dazu reicht ein Übersenden per Post in der Regel nicht aus. Auch ein Einschreiben mit Rückschein ist problematisch. Am sichersten ist es, die Abmahnung dem Arbeitnehmer an seinem Wohnort durch Zeugen zu übergeben oder durch einen Boten in den Briefkasten werfen zu lassen. Der Bote fungiert dann als Zeuge und kann den Zugang schriftlich mit Datum und Uhrzeit bekunden. Um späteren Streit über den Inhalt des Schreibens zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Botin Aurora die Abmahnung lesen zu lassen.

6. Ausländer

Das Erfordernis der Kenntnisnahme führt bei ausländischen Arbeitnehmern dazu, daß die Abmahnung ggf. in die Muttersprache des Ausländers zu übersetzen ist. Dies gilt dann, wenn dem Arbeitgeber bekannt ist, daß der ausländische Arbeitnehmer weder die deutsche Sprache, noch die deutsche Schrift beherrscht.

>> Nächste Folge: Mehrere Abmahnungsgründe / Wirkungsdauer der Abmahnung
<< Zurück zur Übersicht

 

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
 

Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

STARTSEITE >>

Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug