Hans-Gottlob-Ruehle.de
Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 64: Essensgeldzuschuß – Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten

Die Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitarbeitnehmern kann im Einzelfall sachlich gerechtfertigt sein. In vielen Fällen beinhaltet jedoch die Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten eine unzulässige und rechtswidrige Diskriminierung, die vom Gesetzgeber und den Arbeitsgerichten nicht akzeptiert wird.

Der Fall:

Arbeitgeber Agamemnon hat mit seinem Betriebsrat eine “Betriebsvereinbarung Essensgeldzuschuß” abgeschlossen. Danach bekommen Vollzeitarbeitnehmer einen Essensgeldzuschuß “für jeden Arbeitstag zur Teilnahme an einer Mittagsmahlzeit in einer Betriebskantine”. Der Essensgeldzuschuß beträgt arbeitstäglich 1 Euro. Für jedes Quartal werden an Vollzeitarbeitarbeitnehmer deshalb 65 Euro ausgezahlt.
Die teilzeitbeschäftigte Philomele arbeitet an 5 Tagen jeweils 6 Stunden, insgesamt 30 Wochenstunden. Die geringbeschäftigte Andromeda arbeitet an 5 Arbeitstagen jeweils 3 Stunden, insgesamt 15 Wochenstunden. Der Teilzeitbeschäftigte Hephaistos arbeitet nur an 2 Tagen, allerdings Vollzeit mit 8 Stunden.
Arbeitgeber Agamemnon verweigert allen Teilzeitbeschäftigten den Essensgeldzuschuß. Er beruft sich auf die Betriebsvereinbarung, die nur für Vollzeitarbeitnehmer gilt. Die Teilzeitarbeitnehmer fühlen sich diskriminiert und klagen.
Wie entscheidet das Arbeitsgericht?

Die Lösung:

1. Freiwillige Leistung

Der Essensgeldzuschuß ist eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers Agamemnon. Er ist weder gesetzlich noch tarifvertraglich vorgeschrieben. Gleichwohl unterliegen auch freiwillige Leistungen des Arbeitgebers den geltenden Gesetzen. Agamemnon irrt, wenn er meint, mit dem Betriebsrat freie Vereinbarungen nach eigenem Gusto treffen zu können. Gesetzeswidrige oder diskriminierende Regelungen sind auch bei freiwilligen Leistungen verboten.

2. Rechtsform

Für die Bindung an die Gesetze spielt die Rechtsform der Zusage keine Rolle. Der Arbeitgeber kann eine einseitige Zusage machen (Gesamtzusage). Er kann vertragliche Vereinbarungen treffen oder eine Betriebsvereinbarung abschließen. In jedem Falle ist er geltendem Recht unterworfen.

3. Diskriminierung

Sowohl das Bundesarbeitsgericht wie der Europäische Gerichtshof haben immer wieder entschieden, daß diskriminierende Regelungen aller Art im Arbeitsverhältnis untersagt sind, sofern kein sachlicher Grund für eine Schlechterstellung besteht.
Das Diskriminierungsverbot bezieht sich insbesondere auf die Diskriminierung und Schlechterstellung der Frau im Arbeitsleben, d.h. auf eine Diskriminierung wegen des Geschlechtes. Der Gesetzgeber hat in § 611a BGB ausdrücklich eine unterschiedliche Behandlung oder Benachteiligung wegen des Geschlechtes verboten.
Das Diskriminierungsverbot bezieht sich aber auch auf das Verbot der unterschiedlichen Behandlung von Arbeitnehmern wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft oder gewerkschaftlichen Betätigung.

4. Diskriminierung von Teilzeitarbeit

Der Gesetzgeber hat in § 4 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz insbesondere auch die Diskriminierung und Schlechterstellung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern im Betrieb verboten. Der Arbeitgeber darf einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Schlechterbehandlung von Teilzeitarbeitnehmern in Deutschland regelmäßig auch eine Schlechterbehandlung wegen des Geschlechtes darstellt, weil davon ganz überwiegend Frauen betroffen sind.
Eine Ungleichbehandlung wegen der “Teilzeitarbeit” liegt immer dann vor, wenn die Dauer der Arbeitszeit das alleinige Kriterium darstellt, an das eine Differenzierung bei den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen oder zusätzlichen Leistungen anknüpft.

5. Sachlicher Grund

Eine Schlechterstellung von Arbeitnehmergruppen bei betrieblichen Leistungen kann dann gerechtfertigt sein, wenn ein sachlicher Grund vorhanden ist. Allein das unterschiedliche Arbeitspensum von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten stellt jedoch in der Regel keinen sachlichen Grund für einen totalen Ausschluß der Teilzeitarbeitnehmer von der betrieblichen Zusatzleistung dar.
Eine Schlechterstellung der Teilzeitbeschäftigten kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn sich der sachliche Grund aus dem Leistungszweck und dem Umfang der Teilzeitarbeit herleiten läßt.
Vorliegend ist der Zweck des Zuschusses, “die Teilnahme an einer Mittagsmahlzeit” zu fördern.
Arbeitnehmerin Philomele arbeitet 6 Stunden am Tag. Sie hat wie die anderen Arbeitnehmer auch eine Mittagspause. Ein Ausschluß von der Mittagsmahlzeit in der Kantine und damit ein Ausschluß des Essensgeldzuschusses kann hier sachlich nicht gerechtfertigt sein.
Anders verhält es sich bei der geringbeschäftigten Arbeitnehmerin Andromeda. Sie arbeitet nur 3 Stunden am Tag. Für diese Arbeitszeit hat sie keine Pause, an der sie an einer Mittagsmahlzeit teilnehmen könnte. Bei einer solch kurzen Arbeitszeit, die regelmäßig ohne Pause stattfindet, ist eine Mittagsmahlzeit im Betrieb nicht erforderlich. Es besteht ein sachlicher Grund, hier den Essensgeldzuschuß zu verweigern.

6. Anteilige Leistung

Nach ständiger Rechtsprechung muß bei Teilzeitarbeitnehmern auch geprüft werden, ob ihnen ggf. die freiwillige Leistung des Arbeitgebers, die tarifliche oder vertragliche Leistung anteilig zusteht.
Dies gilt auch z.B. bei der Gewährung von Urlaub oder Weihnachtsgrafitikation. Dabei ist der jeweilige Zweck der Leistungen zu prüfen:
Ein Fahrtkostenzuschuß ist teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern in voller Höhe zu gewähren. Die Fahrt zur Arbeit fällt bei teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern ebenso an, wie bei Vollzeitbeschäftigten. Dagegen würde sich im Zweifel die Weihnachtsgratifikation und das Urlaubsgeld entsprechend dem prozentualen Anteil an der Arbeitszeit mindern.
Der Arbeitnehmer Hephaistos ist zwar teilzeitbeschäftigt mit 2 Arbeitstagen pro Woche. Er arbeitet aber an diesen Tagen voll, d.h. jeweils 8 Stunden. Nach Sinn und Zweck des Essensgeldzuschusses muß auch ihm an diesen Tagen die Teilnahme an der Mittagsmahlzeit mit dem Essensgeldzuschuß gefördert werden.

7. Ergebnis

Arbeitgeber Agamemnon muß der Teilzeitarbeiterin Philomele pro Quartal die vollen 65 Euro Essensgeldzuschuß bezahlen. Eine prozentuale Minderung kommt wegen dem Zweck der Leistung (Teilnahme an der Mahlzeit) nicht in Betracht. Arbeitnehmer Hephaistos hat Anspruch auf 2 Euro pro Woche, d.h. auf 26 Euro im Quartal. Die Teilzeitarbeitnehmerin Andromeda geht dagegen leer aus, da sie bei 3 Arbeitsstunden pro Tag weder eine gesetzliche Pause, noch die Notwendigkeit zur Teilnahme am Kantinenessen für sich in Anspruch nehmen kann.

>> Nächste Folge: Rauchverbot und Nichtraucherschutz I
<< Zurück zur Übersicht

 

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.
 

Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

STARTSEITE >>

Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug