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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 58: Der „Low-Performer-Fall“.
Kündigung wegen Schlechtleistung II

Der Fall:

    Friseurmeisterin Pandora stellte in ihren Salon die Friseurin Andromeda ein. Laut Qualifikationsnachweis war sie besonders ausgebildet in Hochzeits- und Jugendfrisuren.
    Neben einem Grundgehalt zahlte Pandora Leistungsprämien nach Umsatz. Dabei stellte sich heraus, daß Andromeda trotz Ermahnungen laufend etwa 40 % unter dem vergleichbaren Umsatz der Kolleginnen lag.
    Als sich nach 2 Abmahnungen noch immer nichts besserte, kündigte Pandora die Mitarbeiterin Andromeda verhaltensbedingt wegen Schlechtleistung. Andromeda klagte und trug vor Gericht zu ihrer Rechtfertigung vor, daß sie besonders gründlich und hervorragend gut arbeite. Deshalb könnte sie nicht das Tempo der anderen erreichen. Außerdem schnappe ihr die Abteilungsleiterin Elektra wie ein „schlitzäugiger Raffzahn“ stets die besonders umsatzträchtigen Kundinnen vor der Nase weg.
    Ist die Kündigung gerechtfertigt?

Die Lösung:

5. Arbeitsinhalt

    Ist der Arbeitsinhalt und der Umfang der Leistungspflicht vertraglich nicht genau bestimmbar festgelegt, so wird der Arbeitsinhalt regelmäßig durch die Ausübung des Direktionsrechts der Arbeitgeberin, die betrieblichen Gepflogenheiten und das subjektive Leistungsvermögen der Arbeitnehmerin bestimmt. Dabei können auch die allgemeinen in der Branche üblichen Inhalt und die entsprechenden Ausbildungsinhalte mit herangezogen werden.
    Merksatz zum Arbeitsinhalt/Leistungspflicht:
    „Der Arbeitnehmer muß tun, was er soll und das muß er so gut tun, wie er kann.“

6. Kein objektiver Maßstab

    Da die Arbeitspflicht und der Arbeitsinhalt der einzelnen Arbeitnehmerin sich nicht nur objektiv nach Ausbildung, Branchenüblichkeiten und betrieblichen Gepflogenheiten richtet, sondern auch nach dem subjektiven Leistungsvermögen, ist die Leistungspflicht nicht starr. Die Leistungspflicht der einzelnen Arbeitnehmer ist vielmehr dynamisch und kann sich im Laufe der Zeit nach oben und nach unten verändern.
    Deshalb gilt: Ein objektiver Maßstab kann nicht angesetzt werden. Es gibt keine „objektive Normalleistung“.
    Im Rahmen eines Dienstvertrages besteht kein „Erfolgshaftung“ des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer schuldet das Arbeiten, nicht aber ein bestimmtes Werk.

7. Kein Selbstbestimmungsrecht

    Aus den voranstehenden Grundsätzen darf allerdings nicht geschlossen werden, daß der Arbeitnehmer seine Leistungspflicht im Arbeitsverhältnis selbst bestimmen oder gar willkürlich festlegen kann. Friseurin Andromeda schuldet vielmehr die vertraglich vereinbarte Leistung, die näher bestimmt werden muß. Ihr ist es nicht gestattet, einerseits den vereinbarten Lohn zu kassieren und andererseits die von ihr erbrachte Leistung einseitig nach Belieben selbst festzusetzen.
    Die Friseurin Andromeda mußte vielmehr unter angemessener Ausschöpfung ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten.

8. Individuelle Unterschiede

    Ob eine Arbeitnehmerin ihrer Arbeitsverpflichtung entsprechend ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit tatsächlich nachkommt, ist für die Arbeitgeberin nicht immer nach objektivierbaren Kriterien erkennbar oder meßbar. Auch wenn die Arbeitnehmerin Andromeda unterdurchschnittliche Leistungen erbrachte, muß sie nicht zwangsläufig eine Vertragsverletzung begangen haben. Auch die unterdurchschnittliche Leistung kann bedeuten, daß die Arbeitnehmerin ihre persönliche Leistungsfähigkeit voll ausschöpfte.
    Merke: In einer Vergleichsgruppe von verschiedenen Arbeitnehmern wird stets ein Mitglied der Gruppe das Schlußlicht bilden. Dieses Schlußlicht muß nicht zwangsläufig faul oder arbeitsunwillig sein.
    Es liegt zunächst nur eine „relative Schlechtleistung“ vor. Eine tatsächliche Vertragsverletzung im Rahmen der Schlechtleistung ist erst gegeben, wenn die Mitarbeiterin ihre Leistungsfähigkeit schuldhaft begrenzt oder zurückhält.

9. Gruppenvergleiche

    Die Leistungsfähigkeit einer Mitarbeiterin wird in der Regel in einem Gruppenvergleich geprüft werden. So hat es auch Arbeitgeberin Pandora gemacht.
    Die relative Schlechtleistung von Andromeda kann verschiedene Ursachen haben. Eine der Ursachen kann darin bestehen, daß die übrigen Gruppenmitglieder besonders leistungsstark sind, daß diese wegen der Leistungsbezahlung/Prämie und finanziellen Bedürfnissen oder aus Karrierebestrebungen sich überfordern. Ein Grund kann auch darin liegen, daß Andromeda objektiv besonders leistungsschwach ist und deshalb abfällt.
    Je deutlicher und längerfristiger allerdings der Gruppendurchschnitt von einzelnen Arbeitnehmern unterschritten wird, um so eher spricht eine Vermutung dafür, daß die Mitarbeiterin entweder generell leistungsschwach ist oder ihre Arbeitsmöglichkeiten nicht ausreichend einsetzt.
    Im zweiten Falle kann dann im Rahmen von Abmahnung und verhaltensbedingter Kündigung von Arbeitgeberseite aus reagiert werden. Liegt eine generelle Leistungsschwäche vor, könnte in ausgeprägten Fällen eine personenbedingte Kündigung wegen fehlender Einigung in Betracht kommen (siehe nächste Folge).
     

>> Nächste Folge: Der “Low-Performer-Fall” - Kündigung wegen Schlechtleistung III
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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug