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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 203: Betriebsratsanhörung bei Einstellung

Der Fall

    Arbeitgeber Wallenstein will in seiner Armee die Stelle des Quartier- und Verpflegungsmeisters neu besetzen. Von den 30 Stellenbewerbern wurden zuerst 2 Frauen und 7 Männer zu Vorstellungsgesprächen geladen. In die engste Auswahl kamen dann neben Rittmeister Pappenheim und General Tilly auch die Bewerberin Mutter Courage. Aufgrund der Ergebnisse der Vorstellungsgespräche entschied sich Wallenstein für Pappenheim. Dem Betriebsratsvorsitzenden Gustav Adolf teilte Arbeitgeber Wallenstein die geplante Einstellung von Rittmeister Pappenheim mit. Dieser habe im Einstellungsgespräch die Auswahlkriterien mit Abstand am besten erfüllt.
    Betriebsratsvorsitzende Gustav Adolf hat durch sein Spionagesystem von den anderen Bewerbern erfahren. Er hält Tilly für bestens geeignet. Auf sein Betreiben widersprach der Betriebsrat der Einstellung von Pappenheim.
    Wallenstein muß schnell die Stelle des Quartier- und Verpflegungsmeisters besetzen. Er klagt deshalb beim Arbeitsgericht. Der Betriebsrat besteht auf seinen Rechten.

Die Lösung

1. Mitbestimmung bei Bewerbern

    Nach § 99 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz hat der Betriebsrat in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung oder Versetzung zu unterrichten. Er muß ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorlegen und Auskünfte über die Person der Beteiligten, bei der Einstellung über die Person der Bewerber geben. Er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskünfte über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und muß die Zustimmung des Betriebsrats zur geplanten Maßnahme, z.B. zu der Einstellung, einholen.
    Diese Anhörung muß der Arbeitgeber in vollständiger Form durchführen und die Unterlagen in vollständiger Form dem Arbeitnehmer vorlegen.

2. Umfang der Anhörung

    Bei Neueinstellung muß der Arbeitgeber nach § 99 Abs. 1 BetrVG die Bewerbungsunterlagen aller Bewerber dem Betriebsrat zur Kenntnisnahme übergeben. Dazu zählen Bewerbungsschreiben, Zeugnisse, Teilnahmebestätigungen, Lebenslauf, Lichtbild, Angaben über den Gesundheitszustand etc.
    Der Arbeitgeber darf die Übergabe der Bewerbungsunterlagen nicht nur auf die von ihm zur Einstellung vorgesehenen Bewerber beschränken. Er muß vielmehr die Unterlagen aller Stellenbewerber vorlegen, auch derjenigen, die von ihm abgelehnt werden.

3. Begrenzung

    Es gibt begehrte Stellen, bei denen im Falle einer Ausschreibung eine Vielzahl, ggf. Hunderte von Bewerbern vorhanden sind. Die Übergabe sämtlicher Unterlagen an den Betriebsrat bedeutet, daß der Betriebsrat mit Papier „zugeschüttet“ wird. Der Betriebsrat würde sich dadurch selbst in seiner Arbeitsfähigkeit blockieren.
    Aus diesem Grunde empfiehlt es sich dringend, in solchen Fällen zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber im Rahmen einer Betriebsvereinbarung eine Regelung darüber zu treffen. Zu empfehlen ist, daß nur die Unterlagen der Bewerber im engeren Auswahlverfahren an den Betriebsrat übergeben werden. Dies zu entscheiden ist jedoch Sache jedes einzelnen Betriebsratsgremiums.

4. Unterlagen des Arbeitgebers

    Zu den erforderlichen Bewerbungsunterlagen gehören nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aber auch die Unterlagen, die der Arbeitgeber selbst anläßlich der Bewerbung erstellt hat, wie z.B. Personalfragebögen, schriftliche Auskünfte von dritter Seite, das Ergebnis von Einstellungsprüfungen, Tests, Assessment-Centern.
    Der Begriff „Bewerbungsunterlagen“ ist nach der Rechtsprechung nicht nur dem Wortlaut nach, sondern nach Sinn und Zweck auszulegen. Nach Sinn und Zweck muß der Betriebsrat über alle Kriterien der Einstellung und über alle Qualifikationsmerkmale bzw. persönlichen Merkmale der Bewerber unterrichtet werden. Die Auskünfte dürfen sich deshalb nicht auf Namen und Personalien im engeren Sinne erstrecken, sondern auch auf die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen der Bewerber für den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz. Aus diesem Grunde gehören z.B. auch Auskünfte über Test- und Übungsergebnisse, die der Arbeitgeber selbst erhoben hat, zum notwendigen Unterrichtungsinhalt.

5. Vorstellungsgespräche

    Wenn für die Auswahlentscheidung Vorstellungsgespräche mit verschiedenen Bewerbern geführt wurden und der Inhalt dieser Gespräche für die Einstellung maßgeblich ist, so gehören zu einer vollständigen Auskunft auch die Mitteilung des Arbeitgebers an den Betriebsrat über die Teilnehmer dieser Vorstellungsgespräche und über den Gesprächsinhalt. Gerade dann, wenn nur noch Vorstellungsgespräche im engsten Raume geführt werden, ist der Inhalt der Vorstellungsgespräche für einen Betriebsrat evtl. von großer Bedeutung. Es ist deshalb nicht ausreichend, wenn Wallenstein den Betriebsratsvorsitzenden Gustav Adolf lediglich über das Ergebnis des Vorstellungsgespräches von Rittmeister Pappenheim informiert. Er hätte auch über die anderen Mitarbeiter, ihre Bewerbungsunterlagen und das Ergebnis der Vorstellungsgespräche informieren müssen.

6. Nachfrage des Betriebsrates

    Es ist nicht erforderlich, daß der Betriebsrat solche Informationen beim Arbeitgeber nach erfolgter Anhörung nachträglich einholt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Anhörung des Betriebsrats nicht vollständig war. Nur bei vollständiger Anhörung kann sich der Arbeitgeber darauf verlassen, daß der Betriebsrat bei Ergänzungsfragen selbst nachfragen muß.

7. Frauenförderung

    Unterlag Wallenstein als Arbeitgeber des Öffentlichen Dienstes im weiteren Sinne einem Frauenförderplan, so war er verpflichtet, den Betriebsrat insbesondere über die Bewerbung und den Ausgang des Bewerbungsgespräches von Mutter Courage zu unterrichten. Dies gilt auch, wenn bei privaten Arbeitgebern ein Frauenförderplan besteht. Sollte geregelt sein, daß bei gleicher Eignung Frauen bevorzugt eingestellt werden, so muß Arbeitgeber Wallenstein insbesondere auch darlegen, weshalb er dann doch Rittmeister Pappenheim und nicht Mutter Courage einstellen möchte.
     

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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug