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Arbeitsrecht von Hans Gottlob Rühle

 

Hans Gottlob RühleHans Gottlob Rühle,
Richter am Arbeitsgericht Gießen,
Direktor des Arbeitsgerichts Marburg a.D.,
gibt Praxistips rund um das Thema Bewerbung und Arbeitsrecht.

 

Folge 82: Schadenersatz bei Trunkenheit

Der Fall:

Arbeitgeberin Anette von Droste-Hülshoff beschäftigt den Fernfahrer Johann Wolfgang Goethe mit einem Gehalt von 2.000 Euro monatlich.
Goethe fährt einen Tanklastzug. In der Regel fährt er nüchtern. Als er wieder einmal angetrunken eine Fahrt durchführt, verunglückt er. Der Tankwagen lag in der Böschung, das Öl lief aus, der Gesamtschaden betrug 300.000 Euro. Die Polizei stellte eine Blutalkoholkonzentration von 2,3 Promille bei Goethe fest.
Arbeitgeberin Droste-Hülshoff will Schadenersatz in voller Höhe. Sie will das Einfamilienhaus von Goethe in Weimar versteigern lassen, um an die 300.000 Euro zu kommen. Johann Wolfgang von Goethe ist am Boden zerstört. Er zittert, weil seine Frau Christiane Vulpius nicht ausziehen will.

Die Lösung

1. Vertragspflichtverletzung

Selbst Johann Wolfgang von Goethe sieht ein, daß seine Trunkenheitsfahrten im Dienst eine massive Vertragspflichtverletzung darstellen.
Diese Vertragspflichtverletzung ist auch kausal für den Unfall und damit für den Schaden in voller Höhe gewesen.

2. Mitverschulden der Arbeitgeberin

Ein Mitverschulden der Arbeitgeberin ist nicht zu erkennen. Etwas anderes wäre, wenn Annette von Droste-Hülshoff etwas von den Trunkenheitsfahrten gewußt hätte und nicht entsprechend reagiert hätte. Dies war aber nicht der Fall. Der Alkoholiker Goethe konnte seine Verfehlung und Trunksucht jeweils gut verbergen.

3. Haftung des Arbeitnehmers

Sofern ein Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis Schäden verursacht, muß er generell dafür haften. Die Rechtsprechung hat allerdings wegen des vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisikos die Haftung in bestimmten Fällen ausgeschlossen oder gemindert. Die Haftungsgrundsätze sehen wie folgt aus:
–Bei leichtester Fahrlässigkeit muß der Arbeitnehmer für den Schaden nicht haften,
– bei normaler Fahrlässigkeit muß der Arbeitnehmer anteilig haften mit einer Quote, die nach den Umständen des Einzelfalles vom Gericht festgelegt wird,
–bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit muß der Arbeitnehmer in vollem Umfang haften.

4. Grobe Fahrlässigkeit

Bei grober Fahrlässigkeit handelt es sich um eine Sorgfaltspflichtverletzung in ungewöhnlich hohem Maße. Dabei muß eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung gegeben sein. Grobfahrlässig handelt derjenige Arbeitnehmer, der das außer acht läßt, was jedem normalen Arbeitnehmer oder Verkehrsteilnehmer einleuchtet.
Der Trunkenbold Goethe hat den Schaden nicht vorsätzlich herbeigeführt. Trunkenheitsfahrten sind jedoch nach der Rechtsprechung stets als grob fahrlässig anzusehen. Für die dabei verursachten Schäden muß der Fahrer generell haften. Goethe kann sich nicht herausreden. Jeder Verkehrsteilnehmer muß wissen, daß Alkoholfahrten in hohem Maße gefährlich und verwerflich sind. Das gilt erst Recht für den Berufskraftfahrer.
Fahrer Johann Wolfgang Goethe muß deshalb vom Grundsatz her für den Schaden von 300.000 Euro auch mit seinem Hausvermögen haften.

5. Haftungsminderung bei hohem Schadensrisiko

Die Rechtsprechung hat für den Fall der grob fahrlässigen Schadensverursachung Ausnahmen von der vollen Haftung dann gemacht, wenn der Arbeitnehmer eine Tätigkeit mit einem besonders hohen Schadensrisiko verrichtet. Es muß berücksichtigt werden, daß viele Arbeitnehmer heutzutage aufgrund moderner Technologien teure Maschinen und Geräte bedienen. Ein Fehler kann dazu führen, daß der Arbeitnehmer aufgrund des hohen Schadensrisikos lebenslang ruiniert ist. Schäden von Hunderttausenden oder Millionen Euros sind nicht selten.
Aus diesem Grunde hat die Rechtsprechung Haftungserleichterungen auch bei grober Fahrlässigkeit durchgesetzt, wenn die Vergütung des Arbeitnehmers in einem deutlichen Mißverhältnis zu dem Schadensrisiko zu seiner Tätigkeit steht.
Deshalb ist vorliegend zu prüfen, ob die Haftung des Gefahrgut-Fahrers Goethe deshalb zu mindern ist, weil er mit seinem Tankzug stets in der Gefahr steht, bei einem Unfall einen besonders hohen Schaden zu verursachen.
Das besonders hohe Schadensrisiko eines Lastzugfahrers ist nicht von der Hand zu weisen. Der tatsächlich eingetretene Schaden einerseits und das Gehalt von Goethe andererseits steht nicht in einem angemessenen Verhältnis. Aus diesem Grunde muß Arbeitgeberin Annette von Droste-Hülshoff wegen des erhöhten Schadensrisikos eine Minderung ihres Schadensersatzanspruches hinnehmen.
Bei der besonders groben Fahrlässigkeit von Goethe wäre eine Schadenersatzpflicht von 1 Jahresgehalt, d.h. von 24.000 Euro angemessen. Goethe muß damit rechnen, bei einer Klage von Droste-Hülshoff vor dem Arbeitsgericht in dieser Höhe von 20.000 - 30.000 Euro verurteilt zu werden.

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Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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Stichwort-Überblick über die Arbeitsrechts-Folgen:

Abmahnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Ausgleichsquittung, Beendigungsvergleich, Befristungsrecht, Berufsschulunterricht, Betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung, “Riester-Rente”), Betriebliche Mitarbeiterkontrollen, Betriebsausflug, Bewerbungsgespräch, Bewerbungskosten, Bewerbungsurlaub, Dumpinglöhne/Lohnwucher, Ein-Euro-Job, Einstellungsuntersuchung, Elternzeitgesetz, Ethik-Regeln, Erziehungsurlaub/-geld, Gebetspausen, Gehaltsüberzahlung, Geldbußen-Erstattung, Gentest, Gleichbehandlung: (Bewerberauswahl, Gewerbeordnung (neue Regelung), Lohn, Nichteheliche Lebensverhältnisse, Stellenausschreibung), Hartz IV, Kündigung: (Kündigung - was tun? Alkoholmißbrauch, Unzeit, Kleinbetriebe, Kopftuchtragen, Privattelefonate/SMS, Internetnutzung, Schlechtleistung, Schriftform, Sittenwidrige Vergütung, Sperrzeitprobleme, Wiedereinstellungsanspruch, Diebstahl, Schwangerschaft), Kündigungsrecht 2004 (Neuer Abfindungsanspruch, Sozialauswahl, Klagefrist), Lohngrundsätze, Mobbing, Nebentätigkeitsverbot, Psychologisches Gutachten, Rauchverbot/Nichtraucherschutz, Sperrzeit, Teilzeitarbeit (TzBfG), Schwerbehindertenschutz, Videoüberwachung, Weihnachtsgeld (Rückzahlungspflicht)
  

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Arbeitsrecht
von H.G. Rühle

Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen:
Folge 1 - 100
Folge 101 - 200
Folge 201 - 300
Folge 301 ff.

 

Folgenübersicht:

1 - 12:
Freie Bewerberauswahl?
Einstellungsuntersuchung Erkundigungen Bewerbungsurlaub
Bewerbungskosten
Zulässige/unzul. Fragen i. Vorstellungsgespräch

13 - 24:
Psych. Gutachten
Gentest
Assessment Center
Neues Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)

25 - 36:
Forts. Befristungsrecht / Teilzeitarbeit (TzBfG)
Neues im Erziehungsrecht

37 - 48:
Berufsschule/Freistellung
Dumpinglöhne
Kündigung/soz. Aspekte
Mobbing

49 - 60:
Das Arbeitszeugnis
Zeugnisgrundsätze
Zeugnissprache
Zeugnisbenotung
Zeugnisformulierung

61 - 72:
Kündigung/Kopftuchtragen
Blutuntersuchungen

73 - 84:
Abmahnung
Andere Sanktionen

85 - 96:
Betriebl. Altersversorgung
Betriebsrente
“Riester-Rente”
Entgeltumwandlung

97 - 108:
Forts. “Riester-Rente”
Weihnachtsgratifikation
Kündigung/Schwangersch.
Gebetspausen
Krankheitsvertretung

109 - 120:
Lohngrundsätze I-V
Nebentätigkeitsverbot
Mobbing I-VI

121 - 132:
Kündigung - was tun?
Checkliste

133 - 144:
Kündigung - was tun?
Soll ich klagen?
Wer kann mich beraten?
Wie soll ich klagen?

145 - 156:
Neues Kündigungsrecht 2004

157 - 168:
Neues Kündigungsrecht
Sozialauswahl
Klagefrist
Neuregelung TzBfG

169 - 180:
Hartz IV
Ein-Euro-Job

181-192:
Ein-Euro-Job Forts.
Ausgleichsquittung /
unzulässiger Lohnverzicht

193 - 204:
Betriebsausflug
Elternzeit
Betriebsübergang

205 - 216:
Betriebliche Mitarbeiterkontrollen
Videoüberwachung
Schwerbehindertenschutz

217 - 228:
Neue Gewerbeordnung
Gebetspausen

228 - 240:
Neue Sperrzeitprobleme
Beendigungsvergleich

241 - 252
Ethik-Regeln I-XII

253 - 264
Hitzeregelungen
Internetnutzung (Kündigung)

265 - 276
Nebentätigkeiten
Arbeit auf Abruf

277 - 288
Arbeitslosengeld - Sperrfrist
Neues Elternzeitgesetz / Elterngeld

289 - 300
Arbeitsrechtliche Schwellenwerte
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

301 - 312
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

313 - 323
Sittenwidrige Vergütung

324 - 335
Schutz der behinderten Menschen

336 - 347
Schutz der behinderten Menschen
Annahmeverzug